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Konflikte verstehen

Hinter der bedrohlichen Fassade des Streits lagern manchmal Schätze

 

UKI_1_2024_Artikel

Von antiken Schlachten bis zu den gegenwärtigen geopolitischen Spannungen prägen Konflikte die Geschichte der Menschheit und sorgen für Schmerz, Verletzung und Zerstörung. Wer allein das Wort Konflikt hört, nimmt körperliche Resonanz in Form von kalten Schauern, Gänsehaut oder Unwohlsein wahr. Das Bedürfnis, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen und Harmonie herzustellen, kennen viele Menschen. Doch betrachten wir Konflikte mal genauer. Wodurch entstehen sie? Was braucht es, um sie zu entfachen und wie können wir ihnen angstfrei und konstruktiv begegnen?

Konflikte können auch überraschend positive Aspekte aufweisen und setzen nicht selten erstaunliche Veränderungen in Gang. Gehen Sie mit mir auf Schatzsuche und entdecken Sie die konstruktiven Seiten von Auseinandersetzungen.

Wie entstehen Konflikte?

Starten wir die Suche mit einem Blick auf die Bedeutung des Wortes. Ein Konflikt ist ein Spannungszustand, der dadurch entsteht, dass unterschiedliche Meinungen, Haltungen, Wünsche, Emotionen, Bedürfnisse oder Wertesysteme aufeinanderprallen (vgl. Hanschitz 2014). Konflikte brauchen nicht immer zwei Parteien, sie können bereits in einer einzigen Person entstehen. Die eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Emotionen oder Werte prallen auf gesellschaftliche Normen. Persönliche Meinungen und Haltungen kollidieren mit professionellen Rollenund Wertebildern.

Wenn bereits ein innerer Konflikt besteht, so liegt es nahe, dass sich dieser Spannungszustand durch das Hinzukommen von Personen steigert. Treffen also mehrere Individuen aufeinander, kommt es zu einem permanenten Ausbalancieren von unterschiedlichen Ansichten und demnach häufiger zu einem Konflikt. Obendrein können mögliche Rivalitäts-, Bündnis- und Eifersuchtsthemen entstehen.

Individualität oder Konformität

Auf der Suche nach dem Ursprung stellt man fest, dass Individualität, Diversität und Konformität Quellen vieler Konflikte sind. Obwohl der Mensch als Individuum wahrgenommen werden möchte, der sich von anderen abhebt, gelingt es ihm nicht zu existieren ohne mit einem anderen Menschen in Beziehung zu treten. Die Angst vor gesellschaftlichem Ausschluss fördert unsere Anpassungsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Je mehr Individualität, desto schwieriger und gleichzeitig dringlicher werden konfliktarme Beziehungen. Sie setzen ein ständiges Ausbalancieren des Konfliktes durch Kooperationen voraus.

Vor allem im Gruppensetting führen diese gegensätzlichen Bestrebungen nach möglichst großer Differenzierung der Individuen und dem Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit und Zusammenhalt zu Konflikten. Macht-, Rang-, Status- und Führungsansprüche werden ausgefochten, jeder beansprucht einen Platz für seine Persönlichkeit mit all seinen Wünschen, Bedürfnissen und Befindlichkeiten. Gleichzeitig wird nach Zugehörigkeit und Anerkennung durch die anderen Gruppenmitglieder gestrebt. Dieser Mangel an Anerkennung führt folgend zu klassischen Gruppenkonflikten wie Konkurrenz und Rivalität (Krainz 2007).

Bei Konflikten in (ungleichen) Paarbeziehungen geht es oftmals um Gewinner- Verlierer-Spiele und die Ausbeutung einer Person durch die andere. Paarbeziehungen müssen nicht zwangsläufig von zwei Personen dargestellt werden. Es kann sich auch um andere Konstellationen handeln wie ein Konflikt zwischen Bildungseinrichtung und Träger, zwischen Kindergarten und Schule. Hinzu kommt, dass Konflikte zwar zwischen Personen entstehen, diese jedoch oft stellvertretend für bestimmte Rollen oder Funktionen stehen.

In vielen Bereichen ist ein Konflikt sogar chronisch. Unterschiedliche Machtebenen und Ziele sind häufig ausschlaggebend. Dies begegnet uns nicht selten in der Gegenüberstellung der Interessen von Politik und Bildungseinrichtung: Quantität (im Ausbau von Betreuungsplätzen) versus Qualität (in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern). Der Konflikt ist vorprogrammiert.

Das Gruppenphänomen

Gruppen bedienen sich einem weiteren Phänomen. In der Zusammenkunft von Personen werden gemeinsame Regeln und Normen gebildet, die einen Gruppendruck erzeugen, der wenig Spielraum für Individualität lässt. Sanktionen und Ausschluss aus der Gemeinschaft sind die Folge, wird diesen Vorgaben nicht Folge geleistet. Die Gruppe entwickelt ein Kollektivindividuum, es wird zu einem.

Der Doppelmitgliedschaftskonflikt

Die Problematik von Doppelmitgliedschaften und Doppelrollen betrifft meist LeiterInnen in elementaren Bildungseinrichtungen. In der Doppelfunktion Leitung und PädagogIn ist die Person vermehrt mit der Zerrissenheit im Beruf konfrontiert. In beiden Rollen ist sie sowohl Teil des Teams als auch Führungskraft. Träger der Einrichtungen und Eltern nehmen die Leitungsperson zumeist als gleichwertiges Teammitglied in der Betreuung und Bildung der Kinder wahr, während sie vom Team als Gruppenmitglied ausgeschlossen wird und als ChefIn eine Sonderrolle zugeteilt bekommt. Ihr Bestreben nach Zugehörigkeit und die unzureichende Anerkennung ihrer Doppelrolle bilden den Boden, auf dem Konflikte entstehen.

Klärung und Transparenz der eigenen Rollen und Aufgabenbereiche, das Festsetzen von klaren Zielen und Werten und eine offene Kommunikation können zusätzlich zum Bewusstsein über einen möglichen Doppelmitgliedschaftskonflikt hilfreiche Mittel zur Bewältigung darstellen.

Trennend oder vereinigend?

Obwohl Konflikte meist unangenehm und beeinträchtigend erlebt werden, sind sie bei genauerer Betrachtung Botschaft gebend und Ausgangspunkt für persönliche Weiterentwicklung. Daldrop und Hohmann (2018) greifen die positiven Aspekte eines Konfliktes auf, indem sie schreiben: „Konflikte bergen Chancen und dienen im besten Fall der Verdeutlichung unterschiedlicher Standpunkte und Meinungen”. Wie können Konflikte also als hilfreich verstanden und konstruktive Schlüsse daraus gezogen werden? Versuchen Sie den Schatz hinter der bedrohlichen Fassade des Konfliktes zu entdecken!

Der deutsche Autor Gerhard Schwarz (1977) hält fest, dass Konflikte sowohl trennende als auch vereinigende Funktionen haben können. Reinhard Böhm (2012) sieht den Sinn in Konflikten darin, vorhandene Differenzen zu erkennen. Zusätzlich erwähnt er den „dynamischen Effekt“, der durch Konflikte innerhalb eines Teams, einer Gruppe oder Organisation entsteht. Heiko Hansen (2014) stellt einen Zusammenhang von Konflikten mit „versteckten Wünschen“ dar und stellt fest, dass es um „nicht artikulierte oder missverstandene Bedürfnisse“ geht. Er spricht von einer emotionalen „Mangelsituation“.

Negative Auswirkungen von Konflikten sind meist bekannt. Sie verschlechtern das Arbeitsklima, nehmen die Freude, blockieren die Kreativität, kosten Zeit und Geld und werden daher gerne gemieden. Die positiven Aspekte wie Offenlegung von Missständen, Missverständnissen und versteckten Wünschen und Bedürfnissen als auch die Möglichkeit auf Entwicklung, Problemlösung, auf Verbesserung in Kommunikation, Organisation etc. werden gerne übersehen.

Die Botschaft hinter einem Konflikt

In Konflikten stecken Botschaften, die Auskunft über dahinterliegende Interessen, Wünsche, Bedürfnisse, etc. geben.

  • Bei personalen Konflikten steht die Missachtung von persönlichen Bedürfnissen, Gefühlen und Lebensumständen im Zentrum. Zudem könnte es um die Sicherung von Freundschaften und Beziehungen sowie eine Sicherstellung der eigenen Rolle und Individualität gehen.
  • Hinter Konflikten auf Sachebene stecken hingegen meist Missverständnisse, unklare Absprachen oder Ursachen, die es zu klären gilt.
  • Wertkonflikte hingegen entstehen aufgrund einer Entscheidung über generelle Ziele (Zielkonflikte), Prinzipien oder Grundsätze. Sie treten häufig dann auf, wenn es um die Einhaltung gemeinsamer Regeln oder die Verständigung verschiedener Standpunkte geht, z. B. Pünktlichkeit.

Der Schatz

Konflikte bieten Chancen, treiben Entwicklung voran und ermöglichen Perspektivenübernahme. Sie zeigen Missstände auf und senden wichtige Messages. Die Suche nach verborgenen Botschaften und Bedeutungen von Konflikten kann das Schatzsucher-Gen in uns aktivieren und Konflikten eine positive Spannung verleihen. Zum besseren Verständnis möchte ich die Argumente des Psychologen Karl Berkel (1997) anführen:

KONFLIKTE ...

  • ... machen Probleme bewusst. Die Beteiligten erfahren etwas über Kernthemen und wie sie damit umgehen können.
  • ... stärken den Willen zur Veränderung. Sie zeigen auf, dass „alte Muster“ aufgebrochen und neue Wege eingeschlagen werden sollten.
  • ... erzeugen notwendigen Druck. Ein Druck, brisante Themen aktiv anzugehen, wird gefördert ohne dessen es häufig an Mut, Kraft und Entschiedenheit mangelt.
  • ... vertiefen zwischenmenschliche Beziehungen. Man lernt besser zu verstehen, was dem anderen wichtig ist und wie man konstruktiv zusammenarbeiten kann.
  • ... festigen den Zusammenhalt. Durch unvermeidliche Reibereien kann Wärme entstehen.
  • ... machen das Leben interessanter. Sie durchbrechen Routinen, machen Beziehungen lebendiger, Gespräche lebhafter und erzeugen eine gewisse Spannung.
  • ... fördern Kreativität. Herausforderungen können aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und regen an, durch vertieftes Problemverständnis neue kreative Lösungen zu finden.
  • ... führen dazu, dass wir uns und andere besser kennenlernen. Wir erfahren, was uns ärgert, verletzt, wichtig ist und wie wir und andere darauf reagieren.
  • ... führen zu besseren Entscheidungen. Die Auseinandersetzung mit Meinungsverschiedenheiten, Unstimmigkeiten, und der Suche nach Lösungen ermöglicht ein facettenreicheres Nachdenken.
  • ... fördern Persönlichkeitsentwicklung. Sie geben Anstoß, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vertiefen und regen an, sich in andere hineinzuversetzen und Perspektiven zu erweitern.
  • ... können Spaß machen. Kann man Konflikte mit einer gewissen Distanz betrachten, kann die Suche nach der dahinterliegenden Botschaft Freude bereiten und man bekommt Lust auf Konflikte.

Konfliktlösung und -kultur

Um konstruktive Lösungen herbeizuführen und nachhaltig eine förderliche Konfliktkultur zu installieren, ist Selbstreflexion ein hilfreiches Tool. Es schafft die Voraussetzung für klar definierbare Standpunkte.

Mögliche Fragen:

  • Was sind meine Bedürfnisse (am Arbeitsplatz)?
  • Wo / wie / durch wen / warum werden sie geachtet / missachtet?
  • Was tue ich / was tue ich nicht, um diese abzudecken – und warum?
  • Was hilft mir / hilft mir nicht, um meine Bedürfnisse abzudecken – und warum?
  • Wer steht in möglichem Konflikt mit wem?
  • Wie stehen die Personen / Parteien zueinander?
  • Worum geht es bei wem?
  • Wie ist es dazu gekommen – wo begann es, wie ging es weiter, was ist jetzt?
  • Was will wer erreichen?

Um den Stolpersteinen in der Kommunikation zu entgehen, ist ein offener, klarer und respektvoller Kommunikationsstil sowie Einfühlungsvermögen wichtig. Hilfreich sind die Regeln der gewaltfreien Kommunikation, aktives Zuhören sowie die Formulierung von Ich-Botschaften:

  • Kommunizieren von Beobachtungen anstelle von Bewertungen („Ich konnte nicht ausreden …“ statt „Sie interessieren sich nicht für …“)
  • Übersetzen und paraphrasieren der Worte des Gegenübers („Verstehe ich richtig, dass Sie …“, „Sie haben gerade erwähnt, dass…“)
  • Kommunizieren der eigenen Gefühle und Bedürfnisse durch Ich-Botschaften („Ich fühle mich …, weil …“, „Ich habe das Gefühl, dass …“, „Ich brauche im Moment…“)
  • Formulieren von Bitten und Wünschen anstelle von Forderungen („Ich bitte Sie um …“, „Ich wünsche mir von Ihnen …“)

Die Erstellung eines gemeinsamen Konfliktkonzeptes im Team ist eine hilfreiche Methode zur Entwicklung und Aufrechterhaltung einer konstruktiven Teamkultur. Vertrauensfördernde und aktive Teammaßnahmen brauchen demnach Raum und Zeit in der Teamarbeit. Fallgespräche und Kooperationen fördern zusätzlich eine tolerante Zusammenarbeit. Die Schaffung guter Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz hat bedeutenden Einfluss auf Kommunikationsstil und Konfliktkultur von MitarbeiterInnen und Teams. Es ist wichtig, dass Unstimmigkeiten, unterschiedliche Meinungen und Differenzen angesprochen werden dürfen.

Ich stelle also fest, dass Konflikte mehr als eine unangenehme Nebenerscheinung der Zusammenkunft von Personen sind. Sie sind im Alltag allgegenwärtig und unvermeidbar. Darüber hinaus sind sie hilfreiche Motoren, um Entwicklung zu fördern und Veränderungen voranzutreiben. Stellt man sich Konflikten mit einer Haltung der Neugierde und der Offenheit, daraus lernen zu können, ermöglichen sie in der Tat Entwicklung, Toleranz und Harmonie und können einen echten Schatz in der Begegnung und Beziehung zu den Mitmenschen darstellen.

 

 

Bildnachweis: Heidi Jaros

Tanja Pils, BA

Jahrgang 1986. Elementarpädagogin mit langjähriger Erfahrung - auch als Leiterin; Studium Sozialmanagement in der Elementarpädagogik (FH Campus Wien), dzt. Masterstudium Supervision und Coaching in Organisationen. Lehrbeauftragte an der PH der Diözese Linz; Referentin, Trainerin und Beraterin. Info/Kontakt: www.coaching-tanja.at

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