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Mikrokosmos des Glücks

Sonnenseiten des PädagogInnenberufs

 

UKI_6_2023_Artikel

Es gibt Tage, an denen ich morgens schwer aus dem Bett komme, aber den Kindergarten eine Stunde später mit dem Gefühl freudiger Erwartung betrete und mich nach der Arbeit erfüllt und zufrieden auf den Heimweg mache.

In einem Elternbrief habe ich den Kindergarten einmal als „Mikrokosmos des Glücks“ bezeichnet. Aber was genau macht dieses Glück aus? Lag es heute an der bunten Schnecke, die ich in guter Gesellschaft am Maltisch zeichnen konnte? Am Freundschaftsbuch, in das ich schreiben durfte? Am frischen Brot, das die Kinder und meine Kollegin für die Geburtstagsfeier gebacken haben? Oder an diesem erstaunlichen Frieden, den wir gemeinsam Tag für Tag als Gruppe leben?

Während ich all das erlebt habe, haben andere am Arbeitsplatz Rechnungen abgetippt, Artikel in Regale geschlichtet oder Frühstückstische abgeräumt. Im Unterschied zu vielen anderen Berufen bietet mir meiner viel Abwechslung und die Möglichkeit zur Selbstentfaltung. All jenen, denen es jetzt zu blumig wird, möchte ich sagen: ja, unser Beruf ist anstrengend und die Arbeitsbedingungen könnten besser sein. Er fordert mich jeden Tag, geistig, psychisch und körperlich. Aber genau das schätze ich auch daran: beansprucht zu werden und zwar für etwas, das Sinn macht. Höchste Zeit also, heute einmal auf die Sonnenseiten unseres Berufs zu sprechen zu kommen. Ich möchte an dieser Stelle allerdings erwähnen, dass mich mein Arbeitsplatz nicht immer so zum Schwärmen gebracht hat. Denn lange Zeit habe ich das Bildungssystem eher als Makrokosmos menschenferner Alltagsstrukturen empfunden. Diesen Strukturen bin ich immer kritisch gegenübergestanden, dennoch haben sie zu unbewussten Leistungsansprüchen an mich und folglich auch an die Kinder geführt. Unterschwellig haben mich die Rahmenbedingungen instrumentalisiert und zu einem Menschen gemacht, der ich eigentlich nicht sein wollte. In einem jahrelangen Prozess habe ich Schritt für Schritt Ballast abgeworfen und Freiräume erobert, die meinen Alltag nun mit Leichtigkeit und Lebendigkeit füllen. Auf die so entwickelten Ansätze erhebe ich keinen Anspruch auf Richtigkeit. Sie sind nicht besser als andere Zugänge. Ich fühle mich dadurch einfach nur entlastet und unbeschwert.

Auf Abstand zur Angebotszentrierung

Zum klassischen Bildungsangebot hat es mich intuitiv nie hingezogen. Mir montags zu überlegen, worauf wir donnerstags im Sesselkreis Lust haben, hat bei mir immer schon für inneren Widerstand gesorgt. Diesen habe ich lange Zeit als Planungsfaulheit oder mangelndes Organisationstalent abgetan. Folglich habe ich mich ab und an für mein notorisches Unterengagement selbst an den Pranger gestellt. Irgendwann habe ich aber begonnen, meinen Widerstand ernst zu nehmen. Im Zuge dessen hat sich herausgestellt, dass ich nachvollziehbare Gründe für meine Abwehrhaltung hatte. Der triftigste war, dass ich mich in meiner Rolle von „So Kinder, dann kommt mal mit, damit ich euch was beibringen kann“ nicht wohlgefühlt habe, weil mir die damit verbundene Erhabenheit über andere nicht entspricht. Es ist mir stattdessen viel lieber, gemeinsam tätig zu sein und dabei die Vielzahl an pädagogischen Werten zu entdecken, die in den oft so einfachen Dingen des Alltags stecken. Mag sein, dass sich die Kinder etwas davon mitnehmen würden, wenn sie mit mir im Sesselkreis laminiertes Obst und Gemüse voneinander trennen. Aber was sind diese zwanzig Minuten im Vergleich zu den vielen Stunden, die wir im Herbst an unserem Entsafter mit Handkurbel verbracht haben? Täglich kamen die Kinder mit schier überquellenden Jausendosen voll Obst und Gemüse, um tatkräftig an der Kurbel zu drehen. Unglaublich, wie viel an Kommunikation und Selbstorganisation sich rund um diese Aktivität abspielte. Abgesehen davon gab es viel an feinmotorischem Anspruch, jede Menge sensorischer Reize, viele neue Begriffe und die Freude an jeder Tasse selbstgepresstem Saft. Und was für eine Heidenarbeit das für mich war! Mehrmals wöchentlich ein bis zwei Stunden mit klebrigen Händen am Entsafter stehen, mit der Aussicht auf die Bewältigung von Unmengen an Abwasch und Biomüll. Dabei bin ich allerdings auf keinen vehementen inneren Widerstand gestoßen, sondern auf Freude am gemeinsamen, lebendigen Tun.

Einfachheit leben

Immer wieder sind es die einfachen Dinge, bei denen der Funke der Begeisterung zwischen den Kindern und mir überspringt. So auch im folgenden Beispiel: In unserem Gruppenraum liegen auf einem Regal mehrere Beutel, die mit Materialien für Kreisspiele gefüllt sind. Unlängst hatte ich während des Freispiels den mit Körnerkissen gefüllten Beutel von Bi-Ba-Butzemann in der Hand. Aus einer Laune heraus warf ich ihn dem nächstbesten Kind zu. Freudig kam er zurückgeflogen. Nachdem der Beutel ein paar Mal hin- und hergeflogen war, gesellten sich andere Kinder dazu. Aus dem Nichts entstand ein Wurfspiel, mit dem die halbe Gruppe fast eine Stunde lang beschäftigt war. Dabei stellte sich heraus: Wenn ich die Regeln nicht vordefiniere, eröffnet das den Kindern den Raum, selbst neue Spielmodi zu entwickeln. Ähnliches beobachtete ich beim Hüpfgummi. Vierzehn Kinder saßen diese Woche zufrieden in der Garderobe, um geduldig abzuwarten, bis sie an der Reihe waren. Während der Wartezeiten schauten sie sich gegenseitig zu und brachten sich dadurch immer wieder auf neue Ideen.

Auseinandersetzung mit der eigenen Erwartungshaltung

Aber ist das nicht zu wenig? Hier ein bisschen Saftpressen, dort ein bisschen Gummihüpfen? Ist es nicht unsere Aufgabe, die Kinder proaktiv mit klaren Zielsetzungen zu fördern? Jein, denn in jeder klaren Zielsetzung schlummert bereits ein Bild davon, wie ich das Kind gerne hätte. Das macht es zu einem Menschen, der dieser Messlatte nicht entspricht. In dieser Haltung kann viel an Negation dem gegenüber mitschwingen, wo das Kind gerade steht. Das Kind, wie es ist, ist aber die Ausgangslage unserer Arbeit. Es so anzunehmen und mich nicht als einen Menschen zu verstehen, der es zu verändern hat, hat ungemein viel Druck von mir abfallen lassen. Folglich gebe ich diesen Druck nun auch nicht mehr an die Kinder weiter. An meiner Pinnwand im Gruppenraum hat einmal ein Zettel gehangen, auf den ich „Anregen, nicht beherrschen“ geschrieben hatte. Mittlerweile ist er einem Bild von der Raupe Nimmersatt und ihrem Schmetterling gewichen, mit dem Titel: Bildung als Ermutigung zur Selbstentfaltung.

Wachstumsprozesse begleiten

Immer wieder kann ich an meinem Arbeitsplatz Zeugin von konstruktiven Entwicklungen werden. Ich bringe etwas ein, von dem ich denke, dass es für das Kind wertvoll ist und freue mich mit ihm, wenn sich dadurch Neues entfaltet. Im Gegensatz zu einem Beruf in der Altenpflege, wo man mit stetigem Abbau geistiger und körperlicher Fähigkeiten von Menschen konfrontiert ist, empfinde ich die Arbeit mit Kindern fast als Privileg.

Dazu möchte ich gerne noch eine Geschichte aus der Praxis erzählen: Vor etwas mehr als einem Jahr hatten wir das große Glück, dass ein Mädchen mit Down-Syndrom für ein paar Monate Mitglied unserer Gruppe wurde. Ich kann dabei ohne zu zögern von einer Begegnung fürs Leben sprechen, denn sie ist uns allen unglaublich zu Herzen gegangen. Einem Menschen von solch menschlicher Größe begegnet zu sein, der mir nie das Gefühl gab, klein zu sein, macht mich dankbar und demütig. Es freut mich außerdem, dass auch wir ihr etwas mit auf den Weg geben konnten. Als sie zu uns kam, war sie in ihrer Motorik stark eingeschränkt. Sie konnte krabbeln und stehen, gehen aber nicht. Der bereits in Auftrag gegebene Rollstuhl würde in den folgenden Wochen eintreffen, erfuhren wir im Vorfeld. In den ersten Tagen stellte sich allerdings heraus, dass sie mit der Unterstützung von zwei Erwachsenen in der Lage war, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Durch glückliche Fügung konnte ich spontan einen Kinderrollator für sie organisieren. So begann sie, ihre ersten autonomen Schritte zu machen. Aus diesen sind in kurzer Zeit sehr viele geworden und nach einigen Monaten war es ihr möglich, an einer Hand zu gehen. Alle, auch die Kinder, haben bei diesem Prozess voller Freude mitgefiebert. Am Ende ihrer leider kurzen Kindergartenzeit bei uns konnte sie bereits einige Schritte alleine gehen. An ihrem ersten Kindergartentag war sie mir noch entgegengetragen worden, an ihrem letzten hat sie ihn auf ihren eigenen Beinen verlassen. Diese Erfahrung hat mir bewusst gemacht, wie kostbar und schön der Beruf von uns PädagogInnen ist. Denn wir können etwas tun, das für das Leben anderer Sinn macht.

 

 

Bildnachweis: Heidi Jaros

Heidi Jaros

Jahrgang 1976. Sonderkindergarten- und Outdoorpädagogin mit langjähriger Berufserfahrung. Seit 2013 gruppenführende Funktion in einem Kindergarten im Land Salzburg

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