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Maria Domnanovich - Burgenlandkroatin und Kindergartenleiterin im Gespräch

"Mit zwei Sprachen aufzuwachsen, ist eine einzigartige Chance."

Wenn von Mehrsprachigkeit und dem Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen bzw. Traditionen in elementarpädagogischen Einrichtungen die Rede ist, geht es nicht immer um Kinder mit Migrationshintergrund. Denn auch innerhalb der angestammten österreichischen Bevölkerung gibt es – obwohl viel zu wenig bekannt und bewusst – verschiedene Volksgruppen und anerkannte Sprachen.

Laut dem Volksgruppengesetz 1997 sind darunter „österreichische StaatsbürgerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum“ zu verstehen. Konkret gemeint sind die burgenlandkroatische, die slowenische, die ungarische, die tschechische und die slowakische Volksgruppe sowie die Volksgruppe der Roma. In Summe betrifft diese Definition laut Volkszählung 1991 ca. 89.000 Personen, die „Initiative Minderheiten“ spricht auf ihrer Homepage von doppelt so vielen.

UNSERE KINDER-Chefredakteur Martin Kranzl-Greinecker hat die Kindergartenleiterin Maria Domnanovich (50) im burgenländischen Nikitsch besucht und mit ihr – stellvertretend für viele minderheitensprachliche PädagogInnen – gesprochen.

Nikitsch/Filež ist die Gemeinde mit dem größten kroatischen Bevölkerungsanteil (fast 90 Prozent der knapp 1400 EinwohnerInnen sind BurgenlandkroatInnen). Wie in vielen Orten Kärntens und des Burgenlands, wo es entsprechende Gesetze gibt, werden Kindergarten und Volksschule hier zweisprachig geführt. Weder für die PädagogInnen noch für die Kinder bzw. Familien stellen Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt ein Problem dar. Das gleichberechtigte Miteinander der Sprachen und Traditionen hat jahrhundertealte Geschichte und passiert heute selbstverständlich.

Martin Kranzl-Greinecker in UNSERE KINDER 1/2018

Maria Domnanovich

Unsere Kinder: Frau Domnanovich, Sie sind selbst Burgenlandkroatin. Was hat es mit dieser Volksgruppe auf sich?

Unsere Vorfahren kamen im 16. Jahrhundert aus dem heutigen Zentralkroatien bzw. aus Nordbosnien auf Einladung mehrerer Adelsfamilien, um nach den Türkenzügen die verödeten Landschaften in der weiten Umgebung Wiens wieder zu besiedeln. Die Siedler hofften auf ein besseres Leben ohne Krieg. Heute wird die Zahl der Personen mit kroatischen Sprachkenntnissen auf bis ca. 60.000 geschätzt, die Mehrzahl davon lebt im Burgenland und in Wien. Wir sind die zahlenmäßig größte anerkannte Volksgruppe Österreichs.

Wie sieht Ihr zweisprachiger Alltag aus, in der Gemeinde Nikitsch ganz allgemein und im Kindergarten im Besonderen?

Bei uns wird überall Burgenlandkroatisch gesprochen: Im Gemeindeamt, beim Arzt, in der Bank, im Gasthaus, in der Kirche, in den Vereinen und im Altenheim ebenso wie im privaten Bereich. Unser alterserweiterter Kindergarten wird zweisprachig geführt, wir kommunizieren also mit den Kindern und ihren Familien in deutscher und kroatischer Sprache. Das stellt keine Herausforderung dar, weil die Eltern die Zweisprachigkeit wünschen und die Kinder das „Sprachenbad“ tagtäglich und ganz natürlich erleben.

Welche Voraussetzungen benötigt die zweisprachliche Arbeit?

Einerseits braucht es die gesellschaftliche Wertschätzung für unsere Sprache, Kultur und Tradition sowie eine positive politische Einstellung, die sich auch in der Bereitstellung der finanziellen Mittel ausdrückt. All das beginnt schon bei den Jüngsten, denn je früher der normale Umgang mit dem Burgenlandkroatischen beginnt, umso eher werden wir unsere laut UNESCO gefährdete Sprache vor dem Aussterben bewahren. Und andererseits braucht es motivierte, gut aus- bzw. fortgebildete PädagogInnen sowie methodisch- didaktisches Material, vor allem Bücher und Medien. Dass wir in unserem Fall all das Genannte in hohem Maß vorfinden, kann ich dankbar bestätigen.

Hat sich die Haltung zur Mehrsprachigkeit eigentlich verändert, auch bei Ihnen persönlich? Und sehen Sie die Gefahr des Verschwindens Ihrer Sprache?

Nicht immer gab es einen positiven Blick auf die Volksgruppe und soziales Ansehen ihrer Sprache. Auch während meiner Ausbildung in den 1980er- Jahren in Wien waren das Burgenlandkroatische und unsere Kultur kaum ein Thema. Aber in den ersten Berufsjahren in einem Kindergarten hier in der Gegend lernte ich – vor allem durch die damalige Leiterin – zunehmend den Wert der zweisprachigen Arbeit kennen.

Heute sehe ich die Zweisprachigkeit unserer Region als Chance und Vorteil, auch für den Arbeitsmarkt und weil Kroatisch eine Verständigungssprache für den Osten Europas ist. Ehrlich gesagt, betrachte ich unsere Sprache keineswegs als „Auslaufmodell“ und mittlerweile zieht sich der im Burgenland angebotene „mehrsprachige Faden“ im Bildungsbereich vom Kindergarten bis zum Studium.

Der als Verleger tätige Kärntner Slowene Lojze Wieser nannte kürzlich die Sprache das „Rückgrat des Menschen“ und meinte, dass die Menschheit einen Verlust erleidet, wenn eine (Minderheiten-)Sprache nicht zur Kenntnis genommen wird. Wie sehen Sie das?

Durch die Globalisierung und die Mobilität der Menschen, die sich auch in den Migrationsströmen zeigt, werden Sprachkenntnisse immer wichtiger. Mehrsprachig aufgewachsene Kinder sind oft schöpferischer und tun sich beim Erlernen weiterer Sprachen leichter, was auch die Hirnforschung belegt. Entscheidend ist, dass die Förderung möglichst früh – im Elternhaus und im Kindergarten – beginnt. Wir wissen ja, wie mühelos Kinder mit ihrem spielerischen, neugierigen und kontaktfreudigen Zugang eine Sprache erlernen.

Wie würden Sie in Kürze die konkrete pädagogische Arbeit in Ihrem alterserweiterten Kindergarten beschreiben?

Wir haben zwei Gruppen, wobei eine von einer deutschsprachigen Kollegin geführt wird. Grundsätzlich werden beide Gruppen bilingual geführt und es gibt immer den Kontakt mit bzw. die Förderung in beiden Sprachen. Unser Ziel ist die Sprachkompetenz für die weitere Schullaufbahn und bisher hatten wir mit dem Erreichen deutscher Sprachstandards keine Probleme. Wir singen sowohl kroatische als auch deutsche Lieder, spielen zweisprachig und verwenden im Alltag Wörter aus beiden Sprachen – etwa wenn es um Farben, Körperteile, Kleidungsstücke etc. geht. Häufig wechseln wir auch hin und her – wir „switchen“ sozusagen.

Andererseits verwenden wir ganz bewusst bei jenen Kindern, die zu Hause eine der beiden Sprachen eher wenig gebrauchen, diesen Wortschatz. Wenn es um Emotionen und Gefühle geht, achte ich immer darauf, die dem Kind vertrautere Sprache zu verwenden. Auch unsere Feste oder die Kommunikation mit den Eltern, etwa unsere Aushänge oder die Elternpost, sind selbstverständlich zweisprachig.

Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit den Eltern beschreiben?

Es ist uns wichtig, den Eltern Einblick in unsere Arbeit zu geben, mit ihnen zu kooperieren und sie zu unterstützen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn eine Familie eher wenig Zugang zur burgenlandkroatischen Sprache oder Kultur hat. Wir weisen stets darauf hin, dass die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit eine einzigartige Chance ist, die man nicht wegwerfen sollte. Und dass die frühe Kindheit auch dafür eine besonders wichtige Zeit ist.

Die meisten ÖsterreicherInnen kennen nur Deutsch als Muttersprache. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Kinder hier als „anders“ erleben – je nachdem, welche Sprache im Elternhaus gesprochen wird? Welche Rolle spielen Traditionen und Bräuche?

Von „Anderssein“ würde ich nicht sprechen, aber natürlich gibt es immer die Sehnsucht dazuzugehören. Kürzlich hat mir ein Kind aus einer deutschsprachigen Familie ganz stolz berichtet, dass es nun schon das Wort „blau“ auf Kroatisch („plavo“) kennt. Ebenso bedeutsam ist die Begegnung mit unseren alten burgenlandkroatischen Liedern und Tänzen oder mit unserem traditionellen Zupfinstrument Tamburizza. Bei Festen oder anderen passenden Gelegenheiten ziehen Kinder auch gerne einmal die Tracht an – das macht ihnen selbst Freude, aber mindestens so ihren Eltern und Großeltern.

Gehört die katholische Religion zum Selbstverständnis der Burgenlandkroaten? Anders gefragt: Wie multireligiös lebt man hier? Und welche Sprache spricht eigentlich Gott?

Traditionellerweise sind wir katholisch, es gibt kroatische Priester und Gottesdienste. Aber wie überall verändert sich das natürlich auch hier im Laufe der Zeit. Im Kindergarten halten wir es so, dass die Feste des katholischen Kirchenjahres Erwähnung finden und wir eingeladen sind, daran teilzunehmen. Vor dem Essen beten wir – auf Wunsch der Kinder übrigens – in kroatischer und deutscher Sprache. Welche Sprache Gott spricht? Ich denke jene, in der er angesprochen wird …



Infos über die Volksgruppen im Burgenland:
www.hkd.at (Kroatischer Kulturverein)
www.umiz.at (Ungarisches Medienzentrum)
www.rombase.uni-graz.at (Roma-Information)

Foto: Eva Maria Plank

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