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"Matteos Minnie-Ecke"

Ein Praxisbericht von Heidi Jaros

Eigentlich wollte ich keinesfalls etwas zum Thema „Ruhemöglichkeiten und Schlafgelegenheiten“ schreiben, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen trage ich noch immer unschöne und bedauerliche Erfahrungen im Rahmen kollektiver Zwangsruhephasen mit mir herum, die ich gemacht habe (bzw. die Kinder mit mir). Zum anderen erscheint mir die derzeit in unserer Gruppe praktizierte Variante trotz guten Bauchgefühls zu banal – und gemessen an hübsch dekorierten Schlafräumen aus ästhetischen Gesichtspunkten auch zu „unschön“, um veröffentlicht zu werden. Bei genauerer Betrachtung jedoch geht es genau um solche einfachen und individuellen Lösungen, die ebenso flexibel wie alltagstauglich sind.

Ich werde nun also von Matteo erzählen, der in Hinblick auf seine familiären Lebensumstände nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen ist. Dies, kombiniert mit seiner Entwicklungsverzögerung und einem unregelmäßigem Schlafrhythmus, führt im Kindergartenalltag immer wieder zu Überforderungsmomenten (geringe Frustrationstoleranz, Wut- oder Weinanfälle, Verweigerungen, provokative Verhaltensweisen, körperliche Übergriffe …). Wenn er dann mit blassem Teint wiederholt zu gähnen beginnt, wird klar, dass Matteo manchmal einfach zu erschöpft ist, um den alltäglichen Anforderungen gerecht werden zu können. Auf rein pädagogischem Wege ist der Situation nicht beizukommen, was liegt also näher als ein tägliches Mittagsschläfchen? Da weder sein Schlafrhythmus zu Hause noch seine Formtiefs Regelmäßigkeit kennen, braucht Matteo eine jederzeit nutzbare Ruhemöglichkeit.

Obwohl es uns ein wenig Überwindung gekostet hat, haben wir im direkt an den Gruppenraum anschließenden „Materialkammerl“ einen Teilbereich unterhalb der Regale in ein Schlafplätzchen für Matteo umfunktioniert. Dieser Ruhebereich, in den er sich jederzeit zurückziehen kann, heißt Minnie-Ecke, weil Matteo die „Minnie-Maus“ liebt und er dort eine als Kuscheltier hat. Sobald er müde wird, nimmt sich eine Kollegin die Zeit, um ihn in die Minnie-Ecke zu begleiten. Vor dem Einschlafen kann er sich eines der Minnie- Maus-Bücher als Entspannungslektüre aussuchen. Wenn er wirklich müde ist, dauert das Einschlafen nicht lange und ist personell gut bewältigbar. Kann er nicht einschlafen, steht er einfach wieder auf und kommt zurück in die Gruppe. Manchmal mag er aber auch in der Minnie-Ecke spielen, um zur Ruhe zu kommen. Für den Fall, dass er einschläft, ist er immer in unmittelbarer Nähe, sodass der Kindergartenalltag im Gruppenraum uneingeschränkt weiterlaufen kann. Durch die räumliche Nähe zum Gruppenraum ist er, auch wenn er schläft trotzdem mit dabei. Sollte er kurz vor dem Mittagessen einschlafen, wird seine Mahlzeit warm gestellt, damit er später essen kann.

Matteos Minnie-Ecke ist kein ästhetisches Aushängeschild. Es gibt keine hübschen Vorhänge, keine Lava-Lampe, kein verspieltes Wandtattoo und keine Einschlafmusik. Seine Einschlaflektüre ist pädagogisch nicht besonders wertvoll, aber er mag sie. Und er schätzt es, wenn eine von uns beim Einschlafen an seiner Seite verweilt. Kinder brauchen keine Aushängeschilder hinter denen sich Rituale verbergen. Was Kinder brauchen, sind Menschen, die ihre Bedürfnisse wahrnehmen und sich daran orientieren. Atmosphäre ist kein Möbelstück und Ruhebereiche beginnen nicht bei der Lichterkette! Wo immer wir einander zugewandt sind, entsteht Geborgenheit.

 

Foto: Heidi Jaros