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... eine Weltenreise: vom Tannenwald zum Südpol

Im Herbst 2020 entdeckten wir, dass sich unser Tannenbaum im Garten wunderbar als Weihnachtsbaum eignen würde. Nach ein paar Wochen holten wir lieb gewonnene Adventelemente hervor und stockten unsere Leseecke mit neuen Büchern auf; darunter auch ein älterer Titel, der gut zur Weihnachtsbaumidee passte: „Tinas Tannenbaum“, ein Erstlesebuch mit Bildern im Text, illustriert von Bernhard Oberdieck und geschrieben von der 2018 verstorbenen Schriftstellerin Ingrid Uebe.

In der Geschichte geht es um ein Mädchen, das sich nach einem Weihnachtsbaum sehnt, selbst in den verschneiten Wald geht und tatsächlich einen passenden Baum findet. Dieser wünscht sich jedoch im Wald bleiben zu dürfen und so liegt es an Tina, einen Weg zu suchen, mit dem beide glücklich werden können. Für jedes Problem gibt es eine Lösung: Die Spinne spinnt einen Faden, um den Schmuck auf dem Baum zu befestigen; die Sterne dürfen in einem Korb gesammelt werden, um das Licht der nicht vorhandenen Kerzen zu ersetzen …

Während des Lesens ergeben sich immer neue Beobachtungen, die Fragen aufwerfen, etwa: In welcher Beziehung stehen die Sterne zum Mond? Eines der Mädchen erzählt, dass es in seiner Heimat Somalia auch einen Mond gibt – die anderen Kinder teilen diese Beobachtung aus anderen Ländern. Auf meinen Einwurf, dass die Erde nur einen Mond hat, lacht das Mädchen, während es schlussfolgert, dass ihr dieser eine Mond dann wohl überallhin folge.

Nach dem Vorlesen holen wir uns, von der Neugier getrieben, den Globus, legen den Kinderatlas auf den Teppich, schlagen die Weltkarte auf und überlegen, was sich spontan als Sonne/als Mond eignet. Ein Mädchen legt sich vor den Atlas, zeigt stolz auf Italien und sagt: „Hier ist der Schuh!“ Die Kinder kennen den Stiefel bereits aus früheren Gesprächen. Die einprägsame Form hilft uns, uns auf der abstrakten Karte zurechtzufinden.

Neben den Atlas wird eine Kiste mit Steckblumen gestellt, sie beinhaltet unsere Requisiten – mit dem Globus erinnern wir uns daran, wer sich um wen bewegt und wann wir das Licht sehen können. Die Verben „aufgehen“/„untergehen“ sind dabei verwirrend, daher weichen wir darauf aus, uns zu fragen, wo man etwa die Sonne am Tag zuerst/zuletzt sieht. Da es nicht ausreicht, links oder rechts zu sagen, stelle ich den Kindern die Himmelsrichtungen vor – vier an der Zahl: „Wie die vier Jahreszeiten!“, erkennt ein Bub, der gerade eine kleine Holzfigur in den Händen hält.

Wir wiederholen die Jahreszeiten, dann bitte ich das Kind, seine Figur auf die Weltkarte über den Italienstiefel zu stellen und sie auf Reisen zu schicken. Damit wir wissen, in welche Richtung es geht, holen die SchulanfängerInnen große Magnetbuchstaben. Ich lege das N, das O, das S und das W über, neben und unter die Karte und verrate den Kindern eine Eselsbrücke, um sich die Reihenfolge der Himmelsrichtungen zu merken: Nie ohne Seife waschen. „Wie bei Corona!“, ruft das Mädchen aus Somalia und schon erhält die Eselsbrücke eine neue gedankliche Verbindung. Immer wieder werden die Buchstaben gemischt und erneut aufgelegt, während wir den Spruch wiederholen. Danach wandert die Holzfigur von einem Kontinent zum nächsten. Ein Bub im Fußballtrikot erzählt aufgeregt, dass er bereits wisse, dass es Pinguine nur am Südpol gibt. Die Figur wandert also gen Süden, dazu braucht sie ein Schiff. Doch woher weiß eine Kapitänin, ein Kapitän, in welche Richtung sie bzw. er fährt? Ein Kompass muss her!

Die Reise mit diesem Buch zeigt, wie wichtig es ist, Umwege zuzulassen, denn Umwege erweitern bekanntlich nicht nur die Ortskenntnis (Kurt Tucholsky), sondern bieten in diesem Fall Kindern die Möglichkeit, Lern- und Lesefreude zu entwickeln.

Tinas Tannenbaum
Bilderbuch

Ingrid Uebe

Illustriert von Bernhard Oberdieck

Verlag Arena, 1993

32 Seiten, 21,5 x 28 cm

ISBN 3401071270

HIER SCHREIBT ...

Tina Troll, MA, Elementarpädagogin in Linz und freie Mitarbeiterin im Verlag UNSERE KINDER. Nach ihrer Ausbildung zur Pädagogin und einigen Jahren im Beruf entschied sie sich für die persönliche Weiterbildung in einem Germanistikstudium an der Paris Lodron-Universität in Salzburg.

 

 

"Meine Beziehung zum Buch definiert sich durch die berufliche Vorlese- und Vermittlungstätigkeit, durch mein Studium, durch die Auseinandersetzungen mit frühen literarischen Begegnungen im Kindesalter und natürlich durch meine persönlichen Leseerfahrungen." - Tina Troll -