Biografiearbeit
Dieser Artikel untersucht die Bedeutung der Biografiearbeit in der Ausbildung von Elementarpädagog* innen. Er beleuchtet zentrale theoretische Ansätze und geht auf empirische Erkenntnisse sowie methodische Herausforderungen ein. Dabei wird unterstrichen, wie Biografiearbeit nicht nur zur individuellen Professionalisierung, sondern auch zur Qualitätssteigerung der pädagogischen Praxis in den Einrichtungen beitragen kann.
Die Ausbildung von Elementarpädagog* innen verfolgt nicht nur die Aneignung fachlicher und methodischer Inhalte, sondern richtet ihren Fokus auf die Entwicklung umfassender Reflexions- und Handlungskompetenzen. Die beiden Kompetenzen sind wichtige Voraussetzungen für die Qualität pädagogischer Arbeit. Die elementarpädagogische Ausbildung mit Blick auf die Berufspraxis verknüpft deshalb alltagsweltliches und biografisch geprägtes Wissen mit fachlich fundierten und wissenschaftlich gestützten Argumentations- und Orientierungsmustern. Anders gesagt: Damit der Erwerb fachlicher und wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht träge oder einseitig und damit unzureichend wird, sollte er um die Thematisierung der individuellen Lebensgeschichte ergänzt werden. In diesem Zusammenhang stellt die Biografiearbeit einen innovativen Ansatz dar.
Warum ist Biografiearbeit für Elementarpädagog*innen sinnvoll?
Zukünftige Elementarpädagog*innen – vor allem jene in der Erwachsenenbildung – beginnen ihre Ausbildung mit langfristig geprägten Erziehungs- und Bildungserfahrungen. Darunter werden Erziehungs-, Sozialisations- und Bildungserfahrungen in der eigenen Familie, in Bildungsinstitutionen u.v.m. verstanden. Diese individuelle Bildungsbiografie beeinflusst die Arbeit mit Kindern maßgeblich.
Werfen wir einen Blick in die Fachliteratur, so wird deutlich, dass es für Pädagog*innen schwierig ist, ihre Persönlichkeit von ihrem professionellen Handeln abzuspalten; die eigene Biografie ist prägend für pädagogische Orientierungen und Einstellungen. Werden Erfahrungen mit Bildung und Erziehung – seien es gute oder schlechte – nicht reflektiert, tendieren Fachkräfte dazu, diese zu tradieren. Im Hinblick auf die pädagogische Professionalität stellt diese Tendenz insofern eine Problematik dar, als damit die Bedürfnisse der uns anvertrauten Kinder möglicherweise verfehlt bzw. falsch eingeschätzt werden. Folglich ist bereits im Ausbildungskontext die kritische Reflexion der eigenen erzieherischen Überzeugungen wichtig, um professionelles Handeln im Praxisfeld zu unterstützen.
Die Reflexion biografischer Erfahrungen in der Aus- und Fortbildung kann die Professionalität von Fachkräften erhöhen, weil sie eine kritische Distanzierung zu unseren eigenen Erfahrungen und so erst die Einbeziehung von theoretischem Wissen in der Praxis ermöglicht. Dabei müssen die eigenen Erfahrungen keineswegs negativ bewertet werden; es sind eben unsere Erfahrungen als Kinder. Wenn wir diese auf uns anvertraute Kinder übertragen, werden wir ihrer spezifischen Situation nicht gerecht. Biografische Selbstreflexion im Rahmen der Ausbildung ist damit nicht lediglich Selbstklärung, sondern auch ein Weg zur Professionalisierung im Hinblick auf die Verschränkung von Theorie und Praxis.
Biografiearbeit öffnet neue Handlungsoptionen
Unter Biografiearbeit verstehen wir eine „strukturierte Form der Selbstreflexion in einem professionellen Setting, in dem an und mit der Biografie gearbeitet wird. Die angeleitete Reflexion der Vergangenheit dient dazu, Gegenwart zu verstehen und Zukunft zu gestalten. Durch die Einbettung der individuellen Lebensgeschichte in den gesellschaftlichen und historischen Zusammenhang sollen neue Perspektiven eröffnet und Handlungspotentiale erweitert werden“ (Miethe 2017, S. 24). Biografiearbeit stellt einen pädagogischen Ansatz dar, der sich keiner speziellen Methode bedient, sondern auf eine Vielfalt an Methoden zurückgreift, die in unterschiedlichen pädagogischen, soziologischen, historischen oder therapeutischen Feldern entwickelt wurden. Die Methoden, die in der praktischen Anleitung zum Einsatz kommen, sollen Reflexionen bei den teilnehmenden Personen anregen.
Professionalisierung durch Biografiearbeit in der Ausbildung von angehenden Elementarpädagog*innen erscheint wohl auch deshalb so vielversprechend, weil der Ansatz in unterschiedlichen Theorie- und Praxisfeldern entwickelt, begründet und ausgestaltet wurde bzw. wird. Es geht um Selbsterkenntnis, das biografische Verstehen und die Weiterentwicklung der Personen. Eine professionelle, das heißt forschende, offene und differenzierte, Haltung und Handlungskompetenz gegenüber den anvertrauten Kindern darf nicht ausschließlich durch die eigenen Erziehungs- und Sozialisationserfahrungen bestimmt sein.
Allerdings – so stellen wir in der Ausbildung immer wieder fest – sind über die eigene Erfahrungsgeschichte hinausgehende Denk- und Handlungsoptionen durch theoretisches Wissen allein nicht vermittelbar. Sie bedürfen einer reflexiven Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen situativen Praxis ebenso wie mit der eigenen Biografie, um über die handlungsleitenden Orientierungsmuster aufzuklären – dazu kann Biografiearbeit einen Beitrag leisten.
Gelingensbedingungen für Biografiearbeit
Biografiearbeit, verstanden als strukturierte und methodisch angeleitete Form der Selbstreflexion, ist an pädagogische Rahmenbedingungen gebunden, welche die Arbeit an der eigenen Biografie und potenziell auch Interaktion ermöglichen. Die reflektierende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, angeleitet von einer/einem mit den Prinzipien der Biografiearbeit vertrauten Professionellen, ist eine ebenso wesentliche Bedingung für das Gelingen wie geeignete Rahmenbedingungen, die eine Öffnung der Teilnehmenden ermöglichen. Weiters wird die Bedeutung der geeigneten strukturellen Rahmenbedingungen betont, die sich auf angemessene Räumlichkeiten, Kontinuität in der Zusammenarbeit sowie auf einen entsprechenden Zeitrahmen beziehen und Sozialformen (Einzelarbeit und Kleingruppen) ermöglichen, in denen Biografiearbeit entfaltet werden kann. Das Gelingen hängt außerdem von der Haltung der anleitenden Person ab und von der Fähigkeit, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Prinzipien wie Freiwilligkeit, Verschwiegenheit, Kontinuität und Verlässlichkeit, Transparenz über Ablauf und Struktur haben oberste Priorität im Setting der Biografiearbeit und ermöglichen es Teilnehmer*innen, sich in einem sicheren Rahmen einzubringen oder gegebenenfalls rauszunehmen. Besonders sensibel gilt es mit Machtstrukturen umzugehen, wie sie beispielsweise im schulischen Kontext vorherrschen. Herausforderungen bestehen hier in der methodischen Umsetzung innerhalb institutioneller Rahmenbedingungen.
Hier sehe ich die Notwendigkeit einer vorangehenden, selbstreflexiven Klärung der anleitenden Person. Sie sollte sich exemplarisch auf die Auseinandersetzung mit der obligatorischen Anwesenheitspflicht, die im Widerspruch zum Prinzip der Freiwilligkeit steht, sowie auf den Leistungsanspruch (Beurteilung) beziehen, um Zwangssituationen im Zuge der Biografiearbeit zu vermeiden. Biografiearbeit kann beispielsweise im Rahmen von freiwilligen Zusatzangeboten (unverbindliche Übung) implementiert werden, um den formalen Leistungsanforderungen zu entgehen. Außerdem ist die klare Abgrenzung zur Therapie in der Biografiearbeit transparent zu halten.
Ausblick
Vor dem Hintergrund einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft gewinnt die systematische Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie zentrale Bedeutung. Das Ziel einer Ausbildung fokussiert nicht nur das Erlangen einer Qualifikation, es geht insbesondere auch darum, neue Sicht- und Denkweisen kennenzulernen und sich darin zu üben. Die Biografiearbeit hat sich als innovatives Instrument etabliert, das Studierenden ermöglicht, ihre Lebensgeschichte zu reflektieren und diese Reflexion in eine professionelle Haltung zu integrieren. Sie unterstützt nicht nur die individuelle Professionalisierung, sondern leistet auch einen wesentlichen Beitrag zur Qualitätsentwicklung in der pädagogischen Praxis. Ihre erfolgreiche Anwendung erfordert ein klares methodisches Vorgehen, geeignete Rahmenbedingungen und eine kompetente Begleitung durch Fachkräfte. In einer solchen Sichtweise wird die Biografiearbeit ein wesentlicher Faktor für die Ausbildungsqualität.
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Martina Pihringer, BA, MA
Lehrerin an der bafep21 in Wien, Elementarpädagogin, Studium der Bildungswissenschaft mit Schwerpunkt Biografiearbeit in der Elementarpädagogik.
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