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Einander verstehen lernen

Sprache als Schlüssel zur Integration

 

UKI_3_2025_Artikel

Die Erstsprache (früher als Muttersprache bezeichnet) erwerben Kinder in den ersten Lebensjahren. Sofern sie in einer monolingualen, also einsprachigen Kultur aufwachsen, werden sie nur mit dieser Sprache konfrontiert. In der Erstsprache lernt das Kind, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen zu äußern, begegnet religiösen, moralischen, sprachlichen und kulturellen Normen seiner Gesellschaft und entfaltet seine individuelle Identität. (Vgl. Klein) 

Allerdings wachsen nicht wenige Kinder zweisprachig bzw. bilingual auf, sie erfahren einen doppelten Erstsprachenerwerb. Sprachentwicklung passiert nicht abgekapselt von anderen frühkindlichen Entwicklungsbereichen und der Erwerb der Sprache ist ein komplexes Zusammenspiel von neurobiologischen Voraussetzungen, kognitiven Prozessen und der sozialen Wechselwirkung. Das Erlernen der grammatikalischen Strukturen in den ersten Lebensjahren passiert intuitiv und spontan. Bis zum vierten Lebensjahr ist das Gehirn optimal darauf vorbereitet, Grammatikregeln aufzunehmen und anzuwenden. (Vgl. Leitfaden zur sprachlichen Bildung und Förderung) 

Zweitsprachenerwerb bedeutet, dass Menschen nach dem dritten Lebensjahr eine Zweitsprache zu erlernen beginnen, nachdem bereits die Erstsprache in ihrer Grundform erworben wurde. Vom sukzessiven Zweitsprachenerwerb spricht man, wenn der Erstsprachenerwerb noch nicht abgeschlossen ist. (Vgl. Klein) 

Der Prozess des Erwerbes einer zweiten Sprache unterscheidet sich in Dauer, Form und Struktur vom Erwerb der Erstsprache, was sich mit unterschiedlichen Entwicklungs- und Sozialbedingungen erklären lässt. (Vgl. Reich). 

Die elementaren Bildungseinrichtungen und schulischen Primarstufen unterscheiden laut dem vom Bildungsministerium als Grundlagendokument herausgegebenen „Leitfaden zur sprachlichen Bildung und Förderung“ zwischen frühem (bis zum 6. Lebensjahr) und spätem (ab dem 6. Lebensjahr) kindlichen Zweitspracherwerb. Darüber hinaus wird von gesteuertem und ungesteuertem Zweitsprachenerwerb gesprochen: Der gesteuerte Zweitsprachenerwerb ist in spezielle Stufen und Modelle aufgebaut und soll mit dem ungesteuerten Zweitsprachenerwerb korrespondieren, der in der Alltagskommunikation ohne systematische, beabsichtigte Prozesse passiert. (Vgl. Klein) 

Mehrsprachigkeit meint u. a., dass Personen je nach Situation von einer Sprache in die andere umschalten kann. Mehrsprachigkeitskompetenz bezieht sich nicht nur auf die Kenntnis anerkannter Landessprachen, sondern auch auf Regional-, Minderheitenund Gebärdensprachen sowie verschiedene Dialekte. 

Vielsprachige Kindergartenrealität 

In immer mehr Kindergärten kommen Kinder, die bis zum Eintritt noch keinen Kontakt zur deutschen Sprache hatten. Weder sie noch ihre Eltern verfügen über sprachliche Grundkenntnisse, was die Kommunikation in Alltagssituationen mit Elementarpädagog* innen erschwert. Weil es Migration (Ein- und Auswanderung) schon immer gegeben hat und immer geben wird, sind zwei Fragen zentral: Welche Integrationsmaßnahmen helfen bei Schwierigkeiten und erleichtern das Erlernen der deutschen Sprache im Kindergartenalltag? Woran liegt es, dass eingewanderte Personen sich schwer tun, Deutsch auf gutem Niveau zu sprechen? 

Die Landessprache, in diesem Fall die deutsche Sprache, zu erlernen, ist nicht nur teuer, sondern auch mit viel Aufwand verbunden. Die Kosten der Kurse in der Erwachsenenbildung sind von den Teilnehmer* innen, die häufig in niedrigem sozioökonomischen Status leben, meist selbst zu bezahlen. Dass der Nachweis einer Deutsch- Qualifikation in Prüfungsform zu erbringen ist, kann zu negativen Emotionen führen. 

Als Migrant*in eine Sprache mittels Sprachkurs zu erlernen, ist ein abstraktes Bild der Realität und ein politischer Wunsch. Spiegeln sich hier nicht gesellschaftliche Machtverhältnisse wider? Wie weit werden individuelle Spracherwerbsverläufe und das persönliche Tempo berücksichtigt? Wer sich schlecht ausdrücken kann, Fremdzuschreibungen erfährt und ständig negatives Feedback erhält, entwickelt unter Umständen ein Gefühl der Abneigung zur noch neuen, fremden Sprache. 

Die meisten Kinder in Europa wachsen mehrsprachig auf. In Schulen und Elementarbildungseinrichtungen sind fremdsprachige Lernangebote zu finden, was vor allem Englisch, Spanisch, Italienisch oder Französisch betrifft – also jene Sprachen, die meistens positiv assoziiert sind. Die englische Sprache gilt heute als Weltsprache schlechthin. 

Die politischen Machtverhältnisse und das noch immer verzerrte Sprachenbewusstsein führen dazu, dass unterschiedlichen Sprachen hohe oder niedrige Bedeutung zugemessen wird. Viele Kinder, die in der ersten bzw. zweiten Generation in Österreich leben, wachsen mit Türkisch auf. Die türkische Familiensprache wird oft als Erstsprache angegeben, allerdings kann das pädagogische Personal oft nur schwer herausfinden, welche Sprache das Kind wirklich spricht. Anhand laufender Beobachtung im Kindergarten könnte sich etwa herausstellen, dass das Kind in der Familie tatsächlich Kurdisch spricht und nur über Medien Türkisch erlernt. 

Scheuen sich Eltern davor, ihre Sprache anzugeben, weil sie annehmen, dass diese gesellschaftlich weniger anerkannt ist? Warum werden nicht alle Sprachen als Ressource und Kompetenz gesehen? Das wirtschaftliche, soziale und politische Prestige der Sprachen sollte in Elementarbildungseinrichtungen keine Relevanz haben, vielmehr sollte sprachliche Vielfalt als Gewinn betrachtet werden. 

Leider sieht die Gesellschaft Mehrsprachigkeit, die nicht eine der genannten Weltsprachen betrifft, noch immer nicht als Ressource an, was bei Betroffenen mit Migrationshintergrund Selbstzweifel auslösen kann. Werden diese negativen Emotionen auf Kinder übertragen, dann droht deren Scheitern im Bildungssystem. 

In österreichischen Kindergärten sind außer Deutsch und den autonomen Minderheitensprachen Kroatisch, Slowenisch und Ungarisch die am häufigsten gesprochenen Sprachen: Bosnisch, Serbisch, Rumänisch, Türkisch und Albanisch. Die meisten Eltern möchten, dass ihr Kind bereits im Kindergarten die deutsche Sprache schnellstmöglich erlernt, allerdings wird in der Bildungslaufbahn auf die Erstsprache oft vergessen. Unbedingt sollte neben der Zweitsprache Deutsch weiterhin die Erstsprache gefördert werden! 

Räume der Sprachenvielfalt 

Diversität im Kindergarten sollte in allen Bildungsbereichen gefördert werden, was auch die Familiensprache und deren wichtige Rolle bei der kindlichen Identitätsentwicklung betrifft. Kinder kommen aus vielen Kulturen und bringen verschiedene Erfahrungen mit. Nur wenn sie sich bzw. ihre Kultur in den Bildungsprozessen wiedererkennen, werden sie sich sicher und willkommen fühlen. Die Familiensprache ist mit Erinnerung, Tradition und Emotion verbunden, die ein aktives Tun im sozialkognitiven Reifungsprozess des Kindes anregen. 

Als Idee für die Praxis sei hier ein Willkommensplakat in verschiedenen Sprachen genannt, das Eltern bestärkt, in ihrer Familiensprache mit den Kindern zu kommunizieren (z.B. in Abholsituationen). Kinder sind manchmal gehemmt und wollen nicht, dass die Eltern die Familiensprache in der Einrichtung anwenden. Wie oft habe ich den Satz „Deutsch im Kindergarten, Mama!“ von Kindern gehört! Aus meiner persönlichen Erfahrung kenne ich das Minderwertigkeitsgefühl und das Gefühl des Nicht-dazugehörens, wenn meine Mutter mit mir in meiner Erstsprache sprach und mehr noch, wenn sie versuchte, mit mir in Deutsch mit Akzent zu kommunizieren. 

Nur durch Selbstreflexion der Pädagog* innen kann eine vorurteilsbewusste Praxis gelebt werden. Was sind für mich Weltsprachen und vor allem: Warum genau diese? Wie sind die Familienkonstellationen und -hintergründe (Sprache, Kultur und Religion usw.)? 

Der Familienvielfalt offen zu begegnen, fördert die Toleranz. Eine praktische Möglichkeit dazu wäre, im Rahmen der Literacy- Förderung Bilderbücher anzubieten, in denen Kinder Vorbilder finden, mit den sie sich und ihr Umfeld identifizieren können. Die Bedeutung der Kinderliteratur im Zusammenhang mit Diversitätskompetenz zeigte auch eine britische Studie im Jahr 2020. Diese ergab, dass in den im Jahr 2019 veröffentlichten Kinderbüchern maximal 10 Prozent der Hauptfiguren People of colour waren, die wenigsten davon übrigens Kinder. 

Im Rollenspiel eignen sich verschiedene Materialien und Textilien als Verdeutlichung der diversen Kulturen. Eltern können Folklorekostüme oder traditionelle Tücher aus ihrer Herkunftskultur für den Rollenspielbereich des Kindergartens zur Verfügung stellen. Die bekannten Materialien prägen die Wahrnehmung der Kinder und das Bild von sich selbst und ihrer Welt. 

Weiters eignen sich das Aushängen von Länderflaggen, Projekten, Tänzen, Speisen oder historischen Entwicklungen gut, um unterschiedliche Länder und Sprachen zu präsentieren. Jedes Hintergrundwissen kann helfen, sich ein sensibles Bild über die spezifischen Bräuche, Normen, Werte sowie Empfindlichkeiten der verschiedenen Kulturen zu machen. 

Resumée 

Die bewusste Wertschätzung und Anerkennung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt von Menschen ist in Bildungseinrichtungen von großer Bedeutung. Das adäquate Hintergrundwissen über Kinder und Eltern und ihrer kulturellen Ansichten ermöglicht dem pädagogischen Fachpersonal ein angemessenes Handeln sowie gute Kooperation und verringert Missverständnisse innerhalb der Einrichtung. Mit Offenheit und Interesse an Diversität ergeben sich Lösungen, die die Zusammenarbeit erleichtern. Offenheit soll aber nicht nur von Pädagog*innen kommen, sondern selbstverständlich auch von Migrant*innen. Unsere Werte und Regeln sind von allen Menschen zu berücksichtigen. Keinesfalls müssen Fachkräfte jede Situation akzeptieren. Es braucht Wertschätzung, Achtung und Anerkennung aller Eltern gegenüber dem pädagogischen Fachpersonal. Nur der respektvolle Umgang mit westlichen Normen und demokratischen Prinzipien ermöglicht ein sicheres und soziales Handeln. Dann können Kompromisse gefunden, Meinungen, Einstellungen und Auffassungen toleriert und akzeptiert werden.

 

 

Bildnachweis: Igor Alecsander/istockphoto.com

Maria Martinovic-Fleischer, BA MA

Kindergartenpädagogin und Sprachförderkraft, Studium der Slawistik, Dolmetscherin und DaZ-Trainerin; tätig als Fachberaterin für "Frühe Sprachförderung" beim Land Steiermark in Graz.

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