Ausgabe 1/2015
EDITORIAL
Wer fürchtet sich vorm digitalen Kinderzimmer?
„Kindern von heute ist die Wirklichkeit der Medien so selbstverständlich und vertraut wie keiner Generation zuvor. Sie sind in sie hineingeboren und wachsen in ihr auf: in der Welt der Fernsehserien, Comics, Schallplatten, Kassetten, Filme, Zeitschriften und Spielwaren. Droht die totale ‚Fernsehkindheit‘? Herrscht in Kinderköpfen eine Scherbenwelt aus passiv konsumiertem Realitätsersatz, aus vorprogrammierter Phantasie und süchtigmachenden Scheinbefriedigungen?“
(Karl W. Bauer und Heinz Hengst, in: Wirklichkeit aus zweiter Hand, Verlag Rowohlt 1980)
Vor nicht allzu langer Zeit galt vielen PädagogInnen das Fernsehen als große Bedrohung in den Kinderzimmern. Und es wurde befürchtet, dass Tonkassetten die Buchund Lesekultur zum Verschwinden bringen. Heute sind Computerspiele, Internet, Facebook, WhatsApp und Co die neuen Schreckgespenster. Manch dreijähriger Knirps antwortet der Pädagogin auf die Frage, was er gerne im Kindergarten spielen möchte: „Du musst nur dreimal das „W“ drücken und dann finden wir tausend coole Spiele …“
Egal, wie wir zu den „neuen“ Medien stehen, müssen wir uns vor Augen halten, dass heutige Kinder – im Gegensatz zu uns Erwachsenen – eine Zeit ohne ständig verfügbare digitale Medien nicht kennen. Es ist klar anzuerkennen, dass Kinderwelten längst auch zu virtuellen Medienwelten geworden sind. Dennoch stellt sich die Frage: Sind dadurch Kinder und ihre Entwicklung gefährdet? In der Fachwelt herrscht Uneinigkeit: Während manche ExpertInnen von emotionaler Abstumpfung, Vereinsamung, erhöhter Gewaltbereitschaft und Realitätsverlust sprechen, betonen andere die vielen möglichen Lerneffekte und sehen den „Digital Space als dritten Erzieher“.
In dieser UNSERE KINDER-Ausgabe geht es um den digitalen Alltag von Kindern, ein laut Studien von PädagogInnen vernachlässigtes Thema. Dabei sind viele Kinder längst in der digitalen Welt zu Hause und erlernen neue Kommunikationsformen zumeist schneller als Erwachsene. Was sie dort vorfinden, ist von vornherein weder gut noch schlecht (genauso, wie ein Buch per se weder gut noch schlecht ist). Aus unterschiedlichen Blickwinkeln versuchen die AutorInnen zu klären, ob digitale Kommunikations- und Spielmöglichkeiten gravierende Veränderungen im sozialen Miteinander der Kinder hervorrufen. Oder erschaffen gerade sie eine neue Spielumwelt und -kultur?
Schon der niederländische Historiker Johan Huizinga (1872–1945) beschrieb das Spiel als eine grundlegende menschliche Aktivität, die Kreativität erfordert und fördert, Energie und Kraft freisetzt und kulturerschaffend wirkt. Die von ihm begründete moderne Spielforschung betont, dass wir nur dann Zugang zur Lebenswelt der Kinder bekommen, wenn wir uns vorurteilsfrei auf ihr Verhältnis zu den digitalen Medien samt deren Spielkulturen einlassen.
Wer dies alles nur pessimistisch sieht, verliert die Kinder mit ihren Vorlieben und Aneignungsstrategien aus dem Blick und verschließt sich der Realität, auch wenn die Diskussionen zum Thema „Kinder und Digitalisierung“ viele Widersprüche und Ambivalenzen sichtbar machen. Am Ende aber sollte die Überzeugung stehen, dass Kinder kompetente Erwachsene benötigen, die sie auf das Leben in einer medial geprägten Welt vorbereiten.
Anna Kapfer-Weixlbaumer
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 1/2015
Unser Thema
Digitale Chancen - Partizipation und Kooperation durch den Einsatz neuer Medien
4
Auf dem Prüfstand - Was ist wahr am Schreckgespenst "Digitale Demenz"?
8
Medienkompetenz im Elementarbereich - Acht Mythen
10
Kinder-Medien-Studie
13
Medienbildung und Medienkompetemz
14
Hello World! - Technische Medien im Kindergarten
16
Unsere Praxis
Philosophieren mit Kindern ... in einer digital kommunizierenden Welt
18
Feindbild Computerspiele - Sind elektronisch vermittelte Spiele für Kinder pädagogisch wertvoll?
22
Eine reale Reise ins virtuelle Reggio ... Begegnungen mit digitalen Welten und neuen Medien
24
"Ein verrücktes Huhn" - Medienprojekt eines Kindergartens
25
Unsere Lebenswelt
Akademisierung in der Elementarpädagogik? - Beitrag zur Ausbildungsdebatte
26
Menschen im Porträt
Kathrin Schärer - Schweizer Kinderbuchautorin und -illustratorin
28
Service
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