Ausgabe 1/2020
EDITORIAL
In welcher Welt wollen wir leben?
In den letzten Jahren erschienen vermehrt Studien zu sozialen Verhaltensweisen, die die menschliche Fähigkeit zur Empathie, Kommunikation und Zusammenarbeit untersuchen. Lange Zeit war man der Meinung, dass von Natur aus alle Menschen gegeneinander konkurrieren und der Wettstreit ideal für Wirtschaft und Gesellschaft wäre. Heute hingegen wird der Mensch primär als kooperatives Wesen betrachtet.
Für Michael Tomasello, Anthropologe am Max Planck-Institut Leipzig, gilt die Fähigkeit zu kooperieren gar als „Grundlage aller kulturellen Errungenschaften“. Seine Forschungen zeigen, dass das Helfen bei Kindern extrem früh beginnt. Selbst wenn sie noch kaum laufen oder sprechen können und vielleicht noch in Windeln sind, zeigen Kinder bereits spontane Gesten der Hilfsbereitschaft. Sie sind geborene Helfer und keine Konkurrenten. Übrigens tragen Belohnungen offenbar nicht zum Helfen bei: Tomasellos Studie („Warum wir kooperieren“, Suhrkamp-Verlag Berlin 2010) belegte, dass fürs Helfen belohnte Kinder beim Wegfall der Belohnung deutlich weniger hilfsbereit waren als die Kinder einer Vergleichsgruppe, deren Hilfe nicht mit Belohnung einherging.
Um die offensichtlich angeborene Kompetenz zur Kooperation weiterzuentwickeln, brauchen Kinder Erwachsene, die sich im Zusammenleben menschlich – also zugewandt, feinfühlig und sozial – verhalten. Und die zudem Sicherheit, Anerkennung und Zugehörigkeit vermitteln. Der bekannte deutsche Kinderarzt, Evolutionsforscher und Autor Herbert Renz-Polster, beschreibt in seinem letzten Buch „Erziehung prägt Gesinnung“ (s. S. 37) anschaulich, wie die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse unser Lebensgrundgefühl prägt. Erleben wir die Welt als Kampfplatz, auf dem man gehorchen muss, um nicht verstoßen zu werden oder als friedliche Heimat, in der Beziehungen nicht auf Überlegenheit und Stärke sondern auf Vertrauen und Kooperation gegründet sind?
Wer authentisch spielende Kinder beobachtet, bemerkt im Normalfall ihr Bestreben, miteinander und nicht gegeneinander ins Spiel zu kommen. Im Bau- und Rollenspiel ist zu erkennen, wie Kinder sich sprachlich und handelnd aufeinander beziehen. Sie vertreten eigene Interessen, verhandeln Konflikte und entwickeln dabei Ich-Stärke und Durchsetzungskraft ebenso wie Empathie und Kooperation.
Seit jeher wird diskutiert, welches Fühlen, Wissen und Können wir den nachkommenden Generationen weitergeben sollen. Welche Kompetenzen und Tugenden braucht unsere Welt, die auf Demokratie und Frieden, auf Kooperation, Gemeinsamkeit der Geschlechter und auf ein differenziertes Miteinander angewiesen ist? Der bedeutende deutsche Pädagoge Andreas Flitner (1922–2016) beantwortete diese Frage schon 1972 in seinem bekannten Buch „Spielen – Lernen“ mit nur drei Begriffen: „Sachorientierung, Zusammenspiel und Hilfsbereitschaft“. Das Thema Kooperation verdient also (nicht nur!) in der Elementarpädogik höchste Aufmerksamkeit.
Anna Kapfer-Weixlbaumer
Fachredaktion
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 1/2020
Unser Thema
Kooperation und Konkurrenz - Zwei unterschiedliche Energien im Spiel von Kindern
4
Kinder kooperieren, weil sie dazugehören möchten
10
Nur wer zu sich selbst gut ist, kann es auch zu anderen sein
12
Unsere Praxis
Auf dem Weg zum Miteinander- Beziehung als Schlüssel zur Kooperationsbereitschaft
14
Das Tauschregal- "Geben und Nehmen" als verbindende Elemente
19
Wie passen wir im Team zusammen?- Jede/r tickt anders, aber wir handeln gemeinsam
20
Hilfe von Kindern getragen- Wir brauchen tatkräftige Menschen mit offenen Herzen
24
Unsere Lebenswelt
Witali lacht wieder - Ein besonderes Kinderheim in Weißrussland
26
Aktuelle Berichte
28
Praxis Spotlight
Jetzt wird gebaut! - "Ein Zuhause für die Vögel!"
29
Menschen im Porträt
Renate Welsh- Autorin mit Herz für Obdachlose
30
Service
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