Ausgabe 3/2020
„Bin dann mal im Wald …“
„Ich zog in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben, wollte dem eigentlichen, wirklichen Leben näherkommen und sehen, ob ich nicht lernen konnte, was das Leben zu lehren hätte, damit ich nicht in der Todesstunde feststellen müsste, dass ich gar nicht gelebt hatte.“ So schrieb der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau in seinem Buch „Walden“, nachdem er 1845 für ein Jahr in eine bescheidene Blockhütte am Walden See in Massachusetts (USA) gezogen war, um ein einfaches Leben zu führen.
Die urwüchsige Schönheit eines Waldes berührt auch mich zutiefst und belebt Erinnerungen an die Kindheit. Bilder, Stimmungen und Gerüche haben sich tief eingeprägt: Weiche Moospolster und knorrige Wurzeln, die zum Mooshäuschen bauen einluden, filigrane Farne, die in der Fantasie Urwälder für Zwerge und Käfer waren, das Schattenspiel der Bäume im Hochsommer, der Geruch von modrigem Laub, wenn wir Rehe imitierend abseits der Wege durch den Wald sprangen …
Ganz Ähnliches beobachtete ich bei unseren wöchentlichen Waldtagen im Kindergarten. Mit ihrer Vorstellungskraft belebten die Kinder den Wald, erfanden Geschichten und spielten sie aus. Die Lieblingsplätze bekamen eigene Namen wie „Rapunzelbaum“, „Bärennest“, „Zwergenwald“ oder „Drachenhöhle“. Es entwickelte sich eine besondere Beziehung zu diesen Orten, die wir regelmäßig aufsuchten. Anstrengung und gegenseitige Hilfe war nötig, um beispielsweise den Rapunzelbaum am abschüssigen Hang zu erreichen, was ganz nebenbei die selbstregulativen Kräfte der Kinder stärkte.
Wälder und Bäume bieten den kindlichen Grundbedürfnissen nach Sicherheit und Beständigkeit aber auch nach Neuem und Abenteuern, einen unerschöpflichen Spielraum. Darum liebten unsere Kinder die Waldtage. Zufrieden, ausgeglichen und angenehm müde kehrten wir an solchen sinnerfüllten Tagen heim. Die Liebe zur Schöpfung und ökologisch verantwortliches Handeln entstehen zumeist nicht allein durch die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, etwa über Bäume und Pflanzen. Diese Haltung beruht zuallererst auf positiven Naturgefühlen und auf dem Selbstvertrauen, etwas bewirken zu können. Uns als Redaktionsteam ist bewusst, dass vielen PädagogInnen Wälder, Parks oder sonstige für Kinder interessante Grünflächen nur mit viel Aufwand zugänglich sind. Dennoch möchten wir Sie ermutigen, diesen Mehr-Aufwand zu versuchen. Ein möglicher Zugang bietet sich auch in der Waldpädagogik. Wir sind von der positiven Wirkung der Wälder und Bäume auf uns Menschen überzeugt, manche in den letzten Jahren aufgekommenen, übertriebenen, kommerziellen und manchmal esoterischen Angebote gilt es aber kritisch zu sehen.
Sie finden in dieser Ausgabe neben Wissenswertem zu Bäumen und Wäldern viele praktische Anregungen, wie mehr „Natur“ in den pädagogischen Alltag kommen kann. Wussten Sie schon, wie gut sich mit bewegter Lyrik (z. B. Lieder, Gedichte, Fingerspiele und Bilderbücher) mit Kindern naturnah philosophieren lässt?
Viele bereichernde Natur-Begegnungen wünscht
Anna Kapfer-Weixlbaumer
Anna Kapfer-Weixlbaumer, MA
Fachredaktion
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 3/2020
Unser Thema
Naturkinder lernen anders - Die Bedeutung elementarer Naturerfahrungen für junge Kinder
4
Der Wald als Bildungsraum - Wer heute der Natur begegnet, wird sie morgen schützen
10
Naturnahe Pädagogik: Kinder sensibilisieren
13
Unsere Praxis
Vom Spüren und Staunen zum Fragen - Naturerlebnisse als Anlass zum Philosophieren
19
"Wanderbäume" in der Stadt - Interview mit Sabinde Neumayer
19
Zwischen Bäumen Wurzeln schlagen - Programm für Menschen in sozialen Berufen
20
Unser Baum-Jahr im Kindergarten - Ein Reggio-Pädagogik-Projekt
21
Wusstest Du eigentlich ... - Wissenswertes über Bäume - für Kinder erklärt
24
Unterwegs im Blätterwald - Natur erlesen in jungen Jahren
28
Unsere Lebenswelt
Unsichtbare Wesen sichtbar machen - Von tückischen Kleinstwesen und schmutzigen Händen
30
Menschen im Porträt
Erwin Thoma - Förster, Unternehmer und Autor
32
Service
Bücher ... für Sie ausgewählt 36
Plattform 38
Praxis Spotlight
Jetzt wird gebaut! - "Kunst aus der Natur"
38