Ausgabe 4/2022
Das Erfahrungs-Sammelsurium
Kinder heben voll staunender Freude und Faszination alles auf. Sie sind dem Boden nahe und greifen nach allem, was ihre Aufmerksamkeit findet. Und sie tragen ihre Funde in Händen oder Hosentaschen nach Hause, um sie im anderen Sinn des Wortes aufzuheben. Wir Menschen sind bestrebt danach, Dinge aufzubewahren, um sie bei Bedarf später zu verwenden oder uns daran zu erfreuen.
Keinesfalls zu unterschätzen sind der Lerneffekt des Sammelns und die ihm innewohnende Didaktik. Durch Vergleichen, Sortieren und Ordnen erweitern wir kontinuierlich unsere Weltkenntnis und unser Erfahrungswissen. So war es beim großen Biologen Charles Darwin (1809–1892), dem als Kind nichts so viel Freude wie das Käfersammeln bereitet hatte. Versuch und Irrtum begleiteten ihn auf dem Weg zum Naturforscher und Begründer der Evolutionstheorie. Auch beim Pionier der Genetik Gregor Mendel, dessen 200. Geburtstag soeben gefeiert wurde, war es wohl ähnlich, als er im heimischen Garten beim Veredeln der Obstbäume half.
Wie so oft und gerade heute, wo viel von MINT-Kompetenzen (also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) die Rede ist, gilt: Alles beginnt in der frühen Kindheit!
Die aktuelle Ausgabe von UNSERE KINDER widmet sich ganz dem oft wenig beachteten, kindlichen Sammeln einschließlich der „benachbarten“ Themen Ordnen, Präsentieren und Aufräumen. Denn neben Neugier und Begeisterung braucht es Übersicht, Fokussierung und Konzentration auf das Wesentliche. All dies soll in elementarpädagogischen Einrichtungen Platz haben und Unterstützung finden.
Der in diesem Heft mehrfach zitierte, deutsche Pädagoge und Sammel-Theoretiker Ludwig Duncker wirft der Psychologie vor, den Wert des (kindlichen) Sammeln zu unterschätzen. Zumeist gehe es ihr nur um krankhafte Auswüchse …
Im Alltag erleben wir ähnliche Widersprüchlichkeiten: einerseits häufen wir Unmengen an Daten auf elektronischen Speichern an (man denke nur an die tausenden Fotos am Smartphone oder an die Bedeutung von „Likes“ und „Followern“ ), andererseits lautet die Devise Selbstbeschränkung. Platz, Zeit und Energie sind ebenso begrenzt wie kostbar. Schnell wird zum „vergangenheitsverliebten Messie“ gestempelt, wer gern vieles aufbewahrt.
Erhalten wir uns und den Kindern also die Freude am Sammeln! Wie fragte schon der Dichter Heinrich von Kleist (1777–1811): „Wovon wollen wir leben, wenn wir nicht beizeiten sammeln?“ Auch Leo Lionnis Bilderbuch „Frederick“, in der eine einzige Maus, die letztlich für das Überleben nötigen Dinge sammelte, erinnert daran, das Schöne und Heilsame nie zu vergessen.
In diesem Sinn wünscht das Team von UNSERE KINDER allen LeserInnen einen erholsamen Sommer. Mögen Sie die Muße haben, wie Frederick für die kommenden kalten Tage „Sonnenstrahlen, Farben und Wörter“ aufzuheben …
Martin Kranzl-Greinecker
Redaktionsleitung
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 4/2022
Unser Thema
Meine Schätze - Kindersammlungen aus pädagogischer Sicht
4
Wissen sammeln - Benennen von Pflanzen weckt naturwissenschaftliches Interesse
8
"Das hab' ich aber noch nicht!" - Kindliche Sammelleidenschaft
10
Schülerinnen im Sammelfieber - Junge Pädagoginnen am Wort
12
Die Schatzkiste unterm Bett -
13
Unterwegs -
13
Unsere Praxis
Die Ordnung der Dinge - Entdecken und Klassifizieren
14
Gesammelte Werke - Angebote für LeserInnen
18
Vom Sinn der Ordnung und der Unordnung - Wie sich mit dem häufigen Aufräumstress aufräumen lässt
19
Über den besonderen Platz und seine Dinge - Zugang zum Weltwissen schaffen
22
Unsere Lebenswelt
Chaos? - Nein, danke! - Äußere Ordnung im Leitungsbüro klärt innere Zusammenhänge
24
Unser Porträt
Daniela Kulot - Die deutsche Kinderbuchillustratorin und -autorin im Interwiew
26
Service
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