Ausgabe 4/2017
EDITORIAL
"Kinder kennen keine Grenzen" - eine ewige Klage
Die Frustration über entgrenzte Kinder und ihre Regelverstöße ist uralt. Schon vor über 2000 Jahren beklagte sich der altgriechische Philosoph Sokrates über die „Jugend von heute“, die weder Respekt noch Disziplin kenne.
Heutzutage vergeht kaum ein halbes Jahr, in dem Sokrates nicht durch eine Buchneuerscheinung Verstärkung bekommt (z. B. "Kinder an der Macht - Die monströsen Auswüchse liberaler Erziehung;
"Wir schaffen die Kindheit ab! Helikoptereltern, Förderwahn und Tyrannenkinder"; "Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden. Warum wir nicht auf die nächste Generation zählen können; "Die Rotzlöffel-Republik. Vom täglich Wahnsinn in unseren Kindergärten" ...)
An dieser Stelle sei ein klares Wort gestattet: Es ist beschämend, wie wenig Liebe, Zutrauen zum Kind und Optimismus vielfach aus diesen Titeln spricht! Gerade von Menschen, die sich für die vielbeschworene "Zukunft unserer Gesellschaft" einsetzen oder sich als PädagogInnen professionell mit Kindern beschäftigen, ist anderes zu erwarten. (Ver-)Störend sind vor allem der Ton und die Wortwahl. Verzichten wir bitte auf höchst problematische Vokabel wie Wahn, Wahnsinn oder Tyrannen, wenn es um Kinder geht!
Natürlich stimmt es, dass Heranwachsende Schwierigkeiten haben und auch bereiten. Natürlich geht uns allen manchmal die Luft aus und es reißt der Geduldsfaden. Natürlich müssen wir alle uns im täglichen Zusammenleben immer wieder neu auf verbindliche Regeln und Grenzen verständigen.
Und natürlich gibt es Grenzüberschreitungen - bei Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts, jeder Herkunft. Was soll daran so außergewöhnlich sein, dass man hunderte Buchseiten beschreiben oder lesen muss? Die dafür investierte Zeit wäre wahrscheinlich besser genutzt, würden wir sie mit den Kindern verbringen: als GesprächspartnerInnen und Vorbilder könnten wir ihnen stabile Beziehungen schenken, dazu Lob und Ermutigung, zugewandte Fürsorge, Räume zum Selbstständig-Werden, unverplante Zeit zum Spielen und Lernen ...
An all dem fehlt es viel mehr als am Gejammere über den "immer schwieriger werdenden Nachwuchs" oder an Vorschriften. Die Wahrheit ist, dass es an Ge- und Verboten nicht mangelt. Das Selbstexperiment, wie oft Kinder an einem Tag aus unserem Mund ein "Nein" hören, lohnt sich. Hand aufs Herz: Wie würde ich reagieren, wenn ich ständig an Grenzen stoße? Vor allem in unseren Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sind wahre kleine "WeltmeisterInnen der Kooperation" zu finden, die pausenlos eigene (Lern-)Bedürfnisse zurückstecken und die Wünsche anderer erfüllen. Viele althergebrachte Rituale
haben die Gruppe im Blick, nicht Einzelne.
Am Schluss dieses Editorials für ein Fachjournal zu den pädagogischen Dauerbrennern
"Regeln, Grenzen, Rituale" kommt endlich jene Unterstreichung, auf die manche LeserInnen wohl schon warten: Ja, wir müssen jungen Menschen einen Rahmen anbieten und abverlangen. Aber bitte mit Respekt und Augenmaß!
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 4/2017
Unser Thema
Regeln Regeln wirklich etwas- Über die schwierige pädagogische Aufgabe, mit Regeln und Grenzen umzugehen
4
Ja, Kinder brauchen Grenzen - ... aber es kommt darauf an, wie sie vermittelt werden
9
Zeitliche und räumliche Strukturen - Sichtbare und unsichtbare Grenzen helfen, Vertrauen zu schaffen
12
Unsere Praxis
Ganz Kind sein dürfen ... Regeln und Grenzen sollen das Lernen nicht behindern
14
Weil das im Kindergarten eben immer schon so war ... Eine Ermutigung, Regelwerke unter die Lupe zu nehmen
18
Bussi-Treppe- Beispiel für ein Abschiedsritual
21
"Leis, leis, leis, wir machen einen Kreis"- Kreisirituale haben Tradition
20
Unsere Lebenswelt
Hilfreich oder belastend?- Bedeutung von Ritualen während der Eingewöhnungsphase in den Kindergarten
22
Menschen im Porträt
Janusz Korczak - Arzt, Pädagoge, Schriftsteller ...
24
Service
Für Sie - Kindergärten in aller Welt (Bericht, Buch, Verlosung)28
Bücher ... für Sie ausgewählt29
Plattform 34