Ausgabe 5/2019
EDITORIAL
Das Gras wächst nicht schneller
… wenn man daran zieht! So lautet ein bekanntes afrikanisches Sprichwort, das während der Arbeit am vorliegenden Fachjournal über die Frühe Bildung in der heutigen Leistungsgesellschaft immer wieder vor unseren Augen stand.
Worum geht es in der Elementarbildung eigentlich? Um geglückte Beziehungen? Um einen bildungsreichen Alltag mit verlässlichen Erwachsenen? Um wirtschaftlich verwertbare Kompetenzen? Um Investitionen in das Humankapital Kind? Die Antwort des deutschen Philosophen und Schriftstellers Gregor Eisenhauer ist eindeutig: „Nicht um Leistung geht es, sondern um Ermutigung.“
Nicht selten wird frühe Bildung und Förderung so verstanden, schon sehr junge Menschen auf die Anforderungen der digitalisierten Leistungsgesellschaft vorzubereiten. Auch hinter dem aktuell großen gesellschaftlichen Interesse an elementarpädagogischen Fragen steht oft das Ziel, Kinder möglichst früh fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Ausgelöst durch die PISA-Studien zeichnen sich derzeit innerhalb der Frühpädagogik zwei unterschiedliche Diskursstränge ab:
Die einen wollen Kinder vor dem Schuleintritt von Leistungsdruck und wirtschaftlichen Vorgaben fernhalten, um ihnen in stressfreier Umgebung ein stabiles Fundament an Grunderfahrungen zu ermöglichen. Die anderen hingegen sprechen sich mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit für eine leistungsbezogene, sehr effiziente, kognitiv orientierte Frühförderung aus – vor allem in schulähnlichen Lernsettings.
Frühlernprogramme (z. B. im naturwissenschaftlichen oder sprachlichen Bereich), die auf das Trainieren einzelner Fähigkeiten in bestimmten Kompetenz- und Bildungsbereichen abzielen, erleben eine Renaissance. Offenbar bezweifelt man, dass die für das Bestehen in der Leistungs- und Wissensgesellschaft notwendigen Kompetenzen in spiel- und lebensweltorientierten Lernumgebungen ausreichend erworben werden. Sollen Kinder wieder zu Objekten von Bildungsbemühungen werden, die wir auf Schritt und Tritt beobachten, einschätzen, bewerten und evaluieren? Mit Kindern ihre Interessen und Lernanstrengungen zu besprechen und zu dokumentieren, kann sehr stärkend sein. Doch ebenso schnell kann dies zur Abarbeitung von Kompetenzkatalogen und zur reinen Vermessung, ja zu Vermessenheit führen.
Beim Stichwort „Leistung“ denken Erwachsene häufig an Konkurrenz und vorzeigbare Ergebnisse. Für Kinder hat Leistung eine ganz andere Bedeutung. Sie wollen Fertigkeiten und Wissen erwerben, um unabhängig zu werden und ihren Aktionsradius zu erweitern.
Wenn die zweijährige Lina etwa erstmals die Spaghetti um die Gabel dreht oder Milan hochkonzentriert seinen Namen auf die Zeichnung malt, dann sind sie tief befriedigt und stolz auf sich. Nun können sie eigenen Kräften vertrauen! Ihr Selbstwertgefühl ist gestärkt und das positive Gefühl der Selbstwirksamkeit ist Grundlage der Leistungsbereitschaft. Neugier ist der Motor, der sie Tag für Tag anspornt, die noch unbekannten Facetten der Welt zu erforschen.
Die Botschaft dieser Ausgabe lautet kurzgefasst: „Nicht um Leistung geht es, sondern um Ermutigung“. Lassen wir unaufgeregt und doch sorgsam (auch im digitalen Bereich) die Neugier zu, denn sie ist stärker als die Angst vor einer ungewissen Zukunft.
Anna Kapfer-Weixlbaumer MA
Fachredaktion
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 5/2019
Unser Thema
Hoch hinaus? - Herausforderungen der frühen Bildung in unserer Leistungsgesellschaft
4
Das Slow School Konzept
9
Frühkindliche Bildung - NRW-Bildungskoffer
9
Schneller, höher, weiter - Optimierungs- und Leistungsdruck in der elementaren Bildung
10
Das Recht auf Inklusion - Es braucht individuelle Lösungen
12
Zwischen Sinn und Unsinn - Eindrücke einer Mutter und Pädagogin zur frühkindlichen Förderung
13
Unsere Praxis
Geboren, um zu forschen - Der Freude am Beobachten und Tun ausreichend Raum und Zeit geben
14
Wie Kräfte wirken
18
Die Geschichte vom Internet - Vernetzung von Bildungsalltag und Digitalisierung
19
Unsere Lebenswelt
Vorsicht Urheberrecht! - Rechtsgrundlage bei Vervielfältigung und Fotoveröffentlichung
22
Praxis Spotlight
Jetzt wird gebaut Unsere Waschstraße -
25
Menschen im Porträt
Konstantin Wecker - Liedermacher, Poet, Schauspieler
26
Service
Bücher ... für Sie ausgewählt 30
Plattform 34