Ausgabe 6/2022
Mehr Inklusion, weniger Illusion!
Kein Mensch gleicht dem anderen, jede/r ist einmalig und einzigartig – eine Binsenweisheit! Und doch sind wir noch lange nicht am Ziel einer inklusiven, gleichberechtigten Gesellschaft, die Platz für die Bedürfnisse aller Kinder und Erwachsenen schafft. Der Weg dorthin bleibt mühsam ...
Vor genau 30 Jahren trat in Österreich die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Später wurden Teile daraus zu Gesetzen im Verfassungsrang, darunter das Diskriminierungsverbot von Kindern mit Behinderung. Bei einer Tagung der Plattform EduCare im letzten Frühjahr aber wurde deutlich, dass die Situation im Elementarbereich keineswegs zufriedenstellend ist. So beklagten dort anwesende Referentinnen etwa, dass ein Rechtsanspruch auf Inklusion sowie ausreichend Plätze fehlen. Vor allem aber würden „aus dem Rahmen fallende Kinder“ (nicht nur solche mit Beeinträchtigung) durch unzureichende Strukturbedingungen massive Benachteiligungen erfahren. Dies betrifft die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, den Zugang zum Bildungssystem und die soziale Interaktion mit anderen.
Auch der Befund von Menschenrechtsexpertin Dr.in Marianne Schulze fällt ernüchternd aus. In ihrer Rede zur Gedenkfeier 2022 in Schloss Hartheim (OÖ), das während der unmenschlichen NS-Zeit eine sog. Euthanasieanstalt zur „Vernichtung unwerten Lebens” war, stellte sie u.a. fest: „Wir scheitern täglich am Anspruch, Chancengleichheit zu gewährleisten und gerade beim Thema Bildung machen wir massive Rückschritte. Die Segregation, also die Absonderung von Menschen mit Behinderung, ist gang und gäbe. All die wohlbedachten Verweise auf die Wichtigkeit von Inklusion sind nichts mehr als Phrasen.“
Niemand sollte glauben, es ginge bei In- oder Exklusion nur um bauliche Maßnahmen (wiewohl die Barrierefreiheit oft genug ignoriert wird) oder um die finanzielle Absicherung von Personen mit „special needs“. Gerade Letzteres wurde jüngst im Zusammenhang mit der ORF-Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ lautstark diskutiert: Ist es okay, wenn jemand in die Rolle bedürftiger Bittsteller gerät?
Wenn wir über Inklusion nachdenken, geht es eben nicht um gute Taten oder um Mitgefühl. Vielmehr muss endlich Schluss sein mit den Begriffen „normal“ und „nicht normal“, vor allem im Kontext mit kindlichem Verhalten! Es muss endlich Schluss sein mit der Ausgrenzung von Menschen wegen ihres Soseins – von Geschlecht und Hautfarbe über Herkunft und Sprache bis zu körperlichen oder psychischen Besonderheiten! Es muss endlich Schluss sein mit all den Zuschreibungen, Grenzverletzungen und Erniedrigungen! Dass viele ElementarpädagogInnen Inklusion täglich (vor-)leben, beweisen die Beispiele und Beiträge des vorliegenden Fachjournals.
Machen wir uns bewusst, dass Friede, Gesundheit oder auch Selbstbestimmtheit niemandem in den Schoß fallen und leisten wir im Sinn gelebter Inklusion unseren Beitrag dazu!
Martin Kranzl-Greinecker
Redaktionsleitung
Inhaltsverzeichnis
der Ausgabe 6/2022
Unser Thema
Außergewöhnlich normal - Wer nur das sogenannte Normale sieht, übersieht das Besondere
4
Unterwegs - Kolumne
9
Wie hast du's mit der Inklusion? - Denkformen inklusiver Pädagogik und ihre Praxis
10
Unsere Praxis
Vielfalt und Diversität als Ressource - Zur inklusiven Haltung im Kindergartenalltag
12
Vergleiche nie ein Kind mit einem anderen! -
14
Teil eines großen Ganzen sein - Ein Projekt nach Howard Gardners Intelligenzen - Chance zur Teilhabe
17
Inklusion braucht Erfahrung - "Anderssein" braucht Vertrautheit
20
Von wert-freier zu wert-voller Beobachtung - Lösungsstrategien für herausfordernde Situationen
22
Unsere Lebenswelt
Das Recht auf Verschiedenheit - Ein Lehrgang in NÖ als Baustein auf dem Weg zur Inklusion
24
Unser Porträt
Lena Raubaum - Kinderbuchautorin aus Wien
26
Service
Bücher ... für Sie ausgewählt 30
Plattform 34
Inhaltsverzeichnis 2022 36