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Autoritätsmissbrauch und Machtspiele

Unbewusst werden Grenzen überschritten

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, so steht es im Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention. Ermöglichen wir unseren Kindern dieses Recht? Gibt es Gewalt in den Beziehungen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern in den österreichischen elementarpädagogischen Einrichtungen? „Natürlich nicht, bei uns mit Sicherheit nicht!“

 

Claudia Schütz in UNSERE KINDER 1/2019

Foto Machtmissbrauch

So oder in ähnlicher Art und Weise lauten oftmals die ersten Reaktionen auf dieses anspruchsvolle, sensible Thema. Doch wo beginnt Gewalt, welche Handlungen werden als gewaltvoll eingestuft und ab welcher Intensität werden Interaktionen als Gewalt wahrgenommen?

„Gewalt wird unterschiedlich definiert. Für manche ist ein festes Packen einer Kinderhand Gewalt; für andere ist es erst Gewalt, wenn sichtbare Verletzungen entstehen“ (Gumprecht). Wie Gewalt definiert wird und wo sich die Grenzen der Toleranz befinden obliegen immer auch der gesellschaftlichen Entwicklung und subjektiven Einschätzungen. Kann es zum Beispiel als Gewalt definiert werden, wenn Kinder als Strafe in die Garderobe gesetzt werden? Besteht Gewalt, wenn Kinder ein Puzzle als Strafarbeit bekommen und zum Sitzenbleiben und Fertigstellen gezwungen werden?

Im Zuge meiner Bachelorarbeit an der FH Campus Wien forschte ich zum Thema „verborgene Gewalt“. Dabei wurden die Häufigkeiten wahrgenommener gewaltvoller Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern in elementarpädagogischen Einrichtungen untersucht. Die Ergebnisse sind alarmierend und schockierend! Sie belegen, dass über 50 % der PädagogInnen gewaltvolle Handlungen in der täglichen Praxis beobachten. Unter anderem werden Kinder von ihren Bezugspersonen fest angepackt, unsanft niedergesetzt oder hinterhergezogen. Kinder werden gezwungen, ihre urinierte Kleidung als Strafe anzubehalten und müssen negative Kommentare ertragen. Es finden Beschämung, Demütigung und Bloßstellung von Kindern durch KindergartenpädagogInnen und BetreuerInnen/Assistenzkräfte statt.

Ungleiches Machtverhältnis

Eine mögliche Begründung für die Entstehung dieser Gewalt in unseren elementarpädagogischen Einrichtungen ist ein ungleiches Machtverhältnis im Sinne von Adultismus. Adultismus beschreibt die Macht der Erwachsenen, welche aus dieser Dominanzposition erwächst, und eine Form der Diskriminierung, ausgehend von Erwachsenen gegenüber Kindern aufgrund ihres Alters. (vgl. Ritz) In Folge dessen kann davon ausgegangen werden, dass Jörg Maywalds Aussage auch für das elementarpädagogische Feld zutrifft: „Wo Macht existiert, ist Machtmissbrauch möglich.“

Dieser Missbrauch der vorhandenen Macht wird in den zuvor angeführten gewaltvollen Interaktionen ersichtlich. Doch wie kann zwischen solchen Machtstrukturen und bestehender Gewalt eine Demokratieentwicklung bei Kindern stattfinden bzw. gefördert werden?

Es liegt an den Erwachsenen

Dafür benötigt es Bezugspersonen, die ihre Macht für die Einhaltung der kindlichen Rechte einsetzen und gewaltfreie Beziehungen gestalten. Beate Rudolf plädiert für die Notwendigkeit der Einhaltung der Menschenrechte, welche in Form der Kinderrechte speziell für unsere jüngsten Mitmenschen formuliert wurden. „Menschenrechte geben dieser – unvermeidbaren – Machtausübung eine Grundlage, eine Zweckbestimmung und Begrenzung.“ (B. Rudolf)

Wenn PädagogInnen aus der Perspektive dieser Rechte ihre Interaktionen gestalten, trägt dies „zu Verbesserungen in einem Bereich von existentieller persönlicher Bedeutung für jede kindliche Persönlichkeit bei und stärkt damit zugleich die demokratische Sozialisation“. (Prengel / Winklhofer). Es braucht also PädagogInnen, welche Rahmenbedingungen schaffen, die Partizipation ermöglichen und den Kindern das Recht gewähren, selbstbestimmt und mit der Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung ein Demokratieverständnis zu bilden.

Kinder sind in ihrer Entwicklung auf verantwortungsvolle Erwachsene angewiesen, die mit ihnen in eine vertrauensvolle, empathische und vor allem gewaltfreie Beziehung treten. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, in welcher jede Person eigene Interaktionen reflektieren muss, um zu gewährleisten, dass sich unsere Kinder in dieser auch in Zukunft gewaltfrei entwickeln und entfalten können.

Literatur

Gumprecht, I. (2017): Kindergartenrecht in Österreich: Rechtssicher Handeln im elementarpädagogischen Berufsalltag. Wien: KiTa aktuell. 

Maywald, J. (2017): Machtausübung in pädagogischen Beziehungen. Kinderrechte sind Schutz vor Machtmissbrauch. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (4/2017). Stuttgart: Klett-Kita Verlag.

Prengel, A. / Winklhofer, U. (Hrsg.) (2014): Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen. Band 1: Praxiszugänge. Opladen, Berlin und Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Ritz, M. (2010): Adultismus – (un)bekanntes Phänomen: „Ist die Welt nur für Erwachsene gemacht?“. In: Wagner, P. (Hrsg.): Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance. Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

Rudolf, B. (2014): Kinderrechte als Maßstab pädagogischer Beziehungen. In: Prengel A. / Winklhofer, U. (Hrsg.) (2014): Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen. Band 1: Praxiszugänge. Opladen, Berlin und Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Buchtipp Friesinger, T. (2018): Mehr Empathie durch Selbstempathie. Der selbstempathische Ansatz in Bildungseinrichtungen im Kontxt einer Inklusiven Kommunikation. Dortmund: Verlag modernes lernen Borgmann.

Bildnachweis: Ann in the uk/shutterstock.com

Die Reckahner Reflexionen

… beruhen auf einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Thema „Ethik pädagogischer Beziehungen“, die seit 2011 im kleinen ostdeutschen Ort Reckahn stattfindet. Internationale Fachleute aus Praxis, Leitung, Verwaltung, Wissenschaft, Bildungspolitik und Stiftungen beteiligen sich daran und haben die folgenden ethischen Leitlinien formuliert:

  • Kinder werden wertschätzend angesprochen und behandelt.
  • Pädagogische Fachkräfte hören Kindern und Jugendlichen zu.
  • Bei Rückmeldungen zum Lernen wird das Erreichte benannt. Auf dieser Basis werden neue Lernschritte und förderliche Unterstützung besprochen.
  • Bei Rückmeldungen zum Verhalten werden bereits gelingende Verhaltensweisen benannt. Schritte zur guten Weiterentwicklung werden vereinbart. Die dauerhafte Zugehörigkeit aller zur Gemeinschaft wird gestärkt.
  • Pädagogische Fachkräfte achten auf lnteressen, Freuden, Bedürfnisse, Nöte, Schmerzen und Kummer der Kinder. Sie berücksichtigen ihre Belange und den subjektiven Sinn ihres Verhaltens.
  • Kinder werden zu Selbstachtung und Anerkennung anderer angeleitet.

Ethisch unzulässig ist, dass pädagogische Fachkräfte Kinder diskriminierend, respektlos, demütigend, übergriffig oder unhöflich behandeln; Produkte und Leistungen von Kindern entwertend und entmutigend kommentieren; auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen herabsetzend, überwältigend oder ausgrenzend reagieren; verbale, tätliche oder mediale Verletzungen zwischen Kindern ignorieren.

Nähere Infos und Download: http://paedagogische-beziehungen.eu

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