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Bevor der Akku leer wird

So können ElementarpädagogInnen psychisch gesund bleiben

 

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PädagogInnen leisten als Multitalente täglich wichtige Arbeit und tragen große Verantwortung. Das stiftet Sinn und bringt Freude, führt aber auch an Grenzen. Immer wieder ist zu erleben, dass KollegInnen nicht mehr weiter können, ja ihren Beruf unterbrechen oder gar aufgeben. Hier einige Tipps, wie freudvolles Dranbleiben möglich sein kann – geschrieben von einem, der sowohl den pädagogischen Alltag als auch die kollegiale Beratung gut kennt.

Als WegbegleiterInnen formen und gestalten wir ElementarpädagogInnen Bildungserfahrungen von Kindern und legen entscheidende Grundsteine für deren Entwicklung. Wir fördern, trocknen Tränen und unterstützen Kinder dabei ihre eigenen Emotionen zu entdecken und zu verstehen. Wir begleiten die uns anvertrauten jungen Menschen in Konfliktsituationen und sind Anlaufstelle für Eltern bzw. Erziehungsberechtigte. Und dennoch erleben wir, dass uns diese Aufgaben emotional und psychisch belasten und uns Kraft und Energie kosten. Dem Akku eines Handys ähnlich, müssen wir uns in regelmäßigen Abständen ausreichend Ruhe und Unterstützung holen. Und das, bevor unsere innere Batterie komplett geleert ist.

Jeden Tag kümmern wir uns selbstverständlich um viele andere. Jetzt ist es an der Zeit, sich einmal bewusst auf die eigenen Energieressourcen und Bedürfnisse zu fokussieren. Genau bei dieser Herausforderung möchte ich als Systemischer Coach und Mentaltrainer Sie in diesem Artikel begleiten und Ihnen erprobte, praktische Werkzeuge für Ihren Alltag in die Hand geben.

Heute zuerst einmal ich – Selbstfürsorge

Gut auf sich selbst zu achten, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, benennen zu können und diesen entsprechend zu handeln, findet im Alltag nicht immer den Raum, den es braucht. Dies stellt aus meiner Sicht jedoch das Fundament für Stressresilienz da.

Vorausschicken möchte ich, dass Selbstfürsorge hierbei nichts mit Egoismus zu tun hat. Immer wieder stellen Menschen, die ich begleite, die Frage: „Darf ich zuerst an mich denken?“

Folgender Zugang verschafft hier Klarheit: Wenn wir von Selbstfürsorge sprechen, geht es nicht darum, alle anderen Menschen um sich herum dauerhaft auszuklammern. Es geht darum, auf sich selbst zu achten und durch regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und andere positive Interventionen dem alltäglichen Stress entgegenzuwirken. Viele von Ihnen kennen vermutlich die Sicherheitsunterweisung im Flugzeug, die gewissenhaft vom Bordpersonal vor jedem Start durchgeführt wird. Spulen wir vor zu der Stelle, an der die Verwendung der Sauerstoffmasken erklärt wird. Dort heißt es, man soll zuerst die eigene Maske anlegen, bevor man mitreisenden Kindern und Erwachsenen hilft. Genau dieses Vorgehen lässt sich eins-zu-eins auf unseren Alltag umlegen. Wenn ich merke, dass mir die Luft ausgeht, hat es wenig Sinn, mich zuerst um die Bedürfnisse aller anderen zu kümmern. Ich muss jetzt meine eigenen Bedürfnisse zulassen und diese erfüllen. Gestärkt kann ich mich dann wieder verlässlich um meine Umwelt kümmern. Im Alltag gelingt dies beispielsweise durch verantwortungsvolle Kommunikation und Abgrenzung.

Praxis-Tipp: Bewusst Nein sagen

Die Fähigkeit zur Abgrenzung kann bedeuten, meine beruflichen und persönlichen Bereiche klar zu trennen. Dies wird durch feste Arbeitszeiten, das Setzen von Prioritäten und das bewusste Beenden des Arbeitstages durch Rituale erreicht. Dabei geht es um unseren Fokus und um fokussierte Handlungen. So kann ich zum Beispiel beim Verlassen meines Arbeitsplatzes Belastendes in ein kleines Buch schreiben, das ich in meinem Spind verstaue. Gehe ich nach Hause, reflektiere ich noch einmal den Arbeitstag und lasse, komplett achtsam, Schweres hinter mir. Dazu atme ich bewusst tief ein und aus, bevor ich die Türe hinter mir schließe. Zuhause wechsle ich meine Kleidung, um den Arbeitstag damit auch nach außen hin sichtbar abzuschließen.

Ein Zeichen der Abgrenzung können wir auch in unserer Kommunikation setzen. So sollten wir, wenn wir merken, dass unsere Kapazitäten und Energiereserven langsam erschöpft sind, lernen, NEIN zu sagen und uns bewusst Zeit für uns selbst nehmen.

Gerade dieses NEIN stellt Menschen, die ich als Coach begleiten darf, vor Herausforderungen. Hier hilft es, den Fokus der Kommunikation auf die Motivation und Haltung zu legen. In meiner Haltung sage ich nicht dauerhaft NEIN zu dir, sondern jetzt und in diesem Moment JA zu mir, JA zu meinen Bedürfnissen. Dadurch erleben uns andere, vor allem jedoch wir uns selbst, als klar, wertschätzend und offen. So teile ich Menschen in meinem Umfeld meine Bedürfnisse mit. Eine Formulierung im Alltag kann zum Beispiel lauten: „Im Moment benötige ich Zeit für mich, helfe dir aber gern das nächste Mal wieder.“ Das klingt erst einmal befremdlich. Führen wir uns jedoch das Flugzeugbeispiel vor Augen, ist es im Sinne der Selbstfürsorge wichtig, zuerst sich selbst auf Kurs zu bringen.

Ins Gespräch kommen – Kommunikation

Klare, transparente und ehrliche Kommunikation ist der Schlüssel zu einem harmonischen und unterstützenden Arbeitsumfeld und fördert auch Empathie. Ein positives Arbeitsumfeld bietet einen speziellen Rahmen, der Struktur und Sicherheit gibt und in dem Wertschätzung sowie einfühlsame Kommunikation gefördert werden. Damit schaffen wir auch Entwicklungsräume für die Kinder, die wir begleiten. Achten wir also darauf, solche Räume auch für uns und unsere KollegInnen zu gestalten, um ein starkes und resilientes Netzwerk aufzubauen. Der Austausch mit KollegInnen kann entlastend wirken und das Gefühl der Gemeinschaft stärken.

Praxis-Tipp: Miteinander reden

Bleiben Sie im regelmäßigen Austausch mit Ihrem Team und sprechen Sie auch über jene Themen, die vielleicht Überwindung oder Mut brauchen, denn dort liegt das wahre Potenzial für Veränderung. Genau diese Veränderungen können uns auch im Umgang mit Stress helfen.

Das Erleben von Veränderungen ist manchmal schwer. Gefühlt nimmt man uns durch die Veränderung vermeintliche Sicherheit und Stabilität, die wir im Aktuellen und gegenwärtig Bekannten zu finden meinen. Der Persönlichkeitstrainer Robin Sharma sieht es anders: „Veränderungen sind am Anfang hart, in der Mitte chaotisch und am Ende wunderbar.“

Platz für neue Strukturen – Veränderungsprozesse

Um positive Veränderungen in unserem Leben bewusst einzuleiten und nachhaltig zu verankern, bedarf es neben guter Vorbereitung auch eines klaren Ziels. Innere Ordnung kann helfen, dem Stress wirkungsvoll zu begegnen und uns einen Überblick über die aktuelle Situation zu verschaffen. Immer wieder erleben wir dann ein Gefühl der Überforderung, wenn uns die Klarheit darüber fehlt, was alles zu tun ist.

Praxis-Tipp: To-do-Liste erstellen

Schreiben Sie alle anstehenden Tätigkeiten und Aufgaben der folgenden Woche nieder. Durch dieses Ritual erhalten Sie einen objektiven Eindruck Ihrer Belastungen. Das Gefühl, etwas zu vergessen, reduziert sich und unser Gehirn muss sich nicht mehr alles merken. Dafür gibt es jetzt einen Aufgabenspeicher: die To-do-Liste. Hier können Sie die Aufgaben nach Dringlichkeit ordnen und einen Plan erstellen, der sich Punkt für Punkt abarbeiten lässt.

Psychische Gesundheit ist von zentraler Bedeutung für unser eigenes Wohlbefinden und auch für die Qualität der Betreuung und Bildung, die wir Kindern bieten. Es geht nicht darum, den Stress möglichst lange allein auszuhalten. Vielmehr sollten wir uns selbst stärken und Rituale bzw. Handlungen praktizieren, die uns Kraft und Energie geben. Die genannten Techniken, Tipps und Gedanken können ein erster Schritt sein, um ein tragfähiges Fundament für Ihre psychische Gesundheit zu schaffen, damit Ihr persönlicher Akku erst gar nicht leer wird.

Sie sind auf diesem Weg nicht allein! Holen Sie sich frühzeitig Begleitung an Ihre Seite und nutzen sie professionelle Unterstützung durch Coaching, Supervision oder Mentaltraining.

Als wesentliche Instrumente zur Entlastung bieten diese Methoden eine Reflexionsplattform für Ihre berufliche Praxis und persönlichen Erfahrungen im Arbeitsalltag und darüber hinaus. Kein Weg ist geradlinig, kein Ziel ist von Anfang an klar, und erst wenn man ankommt und es sich gut anfühlt, ist man richtig! Auf dem Weg zu Ihrem Ziel unterstütze ich Sie gerne.

 

 

Bildnachweis: shutterstock/OB Production

Florian Vötsch

Jahrgang 1983. Ausbildung zum Elementarpädagogen an der BAfEP Graz, mehrjährige Praxis- und Führungserfahrung. Coach, Mediator, Mentaltrainer; Mitglied im Beratungsteam für PädagogInnen Steiermark (bfp). Kontakt: www.rahmenprogramm.at

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