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Immer weiter, hoch hinaus

Auf den Spuren von Stabilität und Symmetrie

 

UKI_4_2020_Artikel

Zum Abschluss der UNSERE KINDER-Mitmachaktion 2019/20 „Jetzt wird gebaut“ bringen wir einen Auszug aus der Seminararbeit der Autorin im Bereich „Natur und Technik“ im Rahmen des Bachelorstudiums Elementarpädagogik an der PH OÖ.

Eine Praxissituation: Jonas und Emil bauen einen Roboter. Sie versuchen, Holzbretter mit der kurzen Seite nach unten aufzustellen. Emil zeigt, wie ein Roboter sich bewegt, da fallen die Bretter mit einem lauten Knall wieder um. „So geht das nicht!“, ruft Emil und gemeinsam mit drei Freunden schauen die Buben nachdenklich auf die liegenden Bretter. Ich frage, warum die Bretter wohl immer wieder umfallen. „Zu hoch!“, ruft Jonas. „Was meinst du damit genau?“, führe ich den Dialog weiter. „Schau“, sagte Jonas aufgeregt und zeigt mir nochmals was passiert, wenn er das Brett aufstellt. Emil beobachtet Jonas, nimmt ein anderes Brett und stellt es mit der langen Seite auf den Boden. „Wenn es niedrig ist, geht es!“, ruft er aufgeregt. Sie bauen ein Viereck aus den Brettern und Jonas legt die langen Holzbausteine rundherum. Auf meine Frage, warum er Bausteine rund um das Viereck anordnet, antwortet er: „Damit sie nicht so leicht umfallen.“ „Genau, so wird euer Bauwerk stabiler, eine gute Idee“, bestätige ich.

Die Buben holen weitere Bretter, legen sie auf das Viereck und beginnen, Kunststoffringe aufeinander zu stapeln, damit ein Turm entsteht. Nun will einer der Buben auf zwei übereinandergestellte weiche Hocker klettern, während ein anderer diese festhält. „Das sieht für mich sehr wackelig aus, wirst du da oben stabil stehen können?“, gebe ich zu bedenken. Ein Sessel wird organisiert und es kommen weitere Ringe dazu. „Jetzt bin ich zu klein“, sagt er wenig später enttäuscht. „Womit könntet ihr weiter nach oben gelangen?“, frage ich. „Mit der Leiter!“, antworten Emil und Jonas gleichzeitig. Also holen wir die Leiter aus dem Turnraum und die Buben bauen weiter, bis sie von der obersten Stufe nicht mehr an die Spitze gelangen.

Ein Blick hinter die Fassade kindlicher Bauwerke macht rasch deutlich – es steckt viel mehr dahinter, als sich im ersten Moment vermuten lässt. Durch aktive wahrnehmende Beobachtungen von kindlichen Bauaktivitäten lassen sich vielfältige Lerngelegenheiten entdecken. Ein Haus zu bauen, ist Teil unserer individuellen Welt-Konstruktion. Bauen ist die Auseinandersetzung des kindlichen Körpers mit anderen Körpern, mit Materialien und Formen. Kinder machen dabei Erfahrungen über Statik, Stabilität und Materialeigenschaften.

Die deutsche Erziehungswissenschafterin Donata Elschenbroich erklärt es als „persönliches und künstlerisches Ur-Statement“, sich Baukörper zu schaffen und so einen Teil der eigenen Welt plastisch werden zu lassen. Die Natur zu beobachten, ist für sie dabei eine wichtige Vorlage zum Gestalten von eigenen Bauten. Der interessierte Blick auf Spielprozesse eröffnet PädagogInnen die Chance, Interessen und Themen der Kinder wahrzunehmen und ihr Spiel zu bereichern.

Zone der nächsten Entwicklung

Kollegiale Gespräche im Team unterstützen bei der Analyse der Beobachtungen und bieten die Gelegenheit für individuelle Planungsschritte. Die Buben im Praxisbeispiel bildeten Lerngemeinschaften und es fand ein reger Informationsaustausch statt. Sie zeigten großes Engagement und Körpereinsatz beim Bau, denn sie trugen schwere Bretter, bezwangen die hohe Leiter und nahmen zahlreiche Fehlversuche in Kauf. So entwickelten sie Vorerfahrungen im Bereich „Konstruieren“.

Aus der Analyse ergeben sich Impulse, ihre Spielideen aufzugreifen und sie in die „Zone der nächsten Entwicklung“ (Lev Wygotsky) zu begleiten. Dies könnte etwa die Gestaltung einer Lernumgebung bedeuten, in der Kinder differenziertere Materialien zur Verfügung haben, um ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten auszuschöpfen (Eierkartons, Bierdeckel, mit Paketband überklebte Kataloge, schiefe Ebenen, unterschiedliche Untergründe ...). Auch Bilder von Bauwerken aus aller Welt inspirieren zu neuen Ideen.

Bildung vollzieht sich in sozialen und interaktionalen Prozessen, weshalb der Austausch über Erfahrungen einen wesentlichen Teil der Bildungsarbeit darstellt. Es reicht nicht, den Kindern nur Material und Raum zu bieten. Vielmehr müssen wir sie kooperativ und kommunikativ bei ihren Spiel- und Lernprozessen begleiten.

Projekt Tower-Bridge

Nach einem spannenden Gespräch über Türme und andere Bauwerke, beschloss unsere Gruppe, die Londoner Tower-Bridge nachzubauen. Die genaue Betrachtung von Bildern zeigte, dass darauf sogar Fahrzeuge unterwegs sind. Jonas holte gleich ein Auto aus der Kiste, denn es war klar, dass auch über die zu bauende Brücke der Verkehr fließen sollte. „Das muss aber sehr stabil werden“, überlegte er. Ich fragte, was er damit meinte und die prompte Antwort lautete: „Na, wenn etwas stehen bleibt und nicht umfällt!“

Nach dieser Ansage startete der Bautrupp, dem sich auch Emma und Paula anschlossen, das Bauprojekt „Tower Bridge“. Die Kinder organisierten ihre Baustelle ganz selbstständig, indem sie zuerst einen geeigneten Platz wählten und dann Baumaterialien herbeischafften (Bioblos, Kappla-Steine, Holzbretter, Holzbausteine und Glassteine). Zuerst wurde ein Tower gebaut, danach ein Duplikat angefertigt, wobei die Kinder sehr genau auf die Symmetrie achteten. Durch regelmäßige Vergleiche mit dem Original stellten sie die Ähnlichkeit der Bauwerke sicher. Die Kinder setzten gezielt unterschiedliche Materialien ein und tauschten sich über ihre Ergebnisse und Ideen aus.

In weiterer Folge steckten sich die „Baumeister“ gegenseitig mit neuen Konstruktionsideen an und es entstanden viele kreative Bauten. Die Fotos der Bauwerke wurden mit Kommentaren der Kinder ergänzt und als „Sprechende Wände“ in einer Ausstellung den Eltern präsentiert.

Lerngelegenheiten beim Bauen und Konstruieren

Sprache und Kommunikation: Bilder von Bauten analysieren und Eigenschaften beschreiben (z. B. „Tower Bridge“: zwei gleiche Türme, Symmetrie, Tragfähigkeit), Handlungsabläufe erklären.

Natur und Technik: Zusammenhänge verstehen, etwa Stabilitätsanforderungen („Warum fallen die Bretter um?“ – Weil sie zu hoch sind! Also Aufstellung an Längskante und Fixierung durch andere Bausteine). Um ausreichend Standfestigkeit aufzuweisen, müssen Bausteine exakt übereinander liegen. Auch Gleichgewicht, Formen oder Symmetrie sind zu berücksichtigen.

Emotionen und soziale Beziehungen: Die Kinder verspüren Selbstwirksamkeit durch das Fertigstellen von Bauwerken. Durch die selbstständige Auswahl der Bauten, der Materialien und des Bauortes erleben sie Autonomie. Beim Verwirklichen komplexer Ideen lassen sich Ausdauer und Frustrationstoleranz erlernen. Und durch das Aushandeln von Zielen bzw. den damit verbundenen Vorgehensweisen handeln sie kooperativ.

 

Bildnachweis: Doris Schlattl

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