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Krise und Krankheit, Tod und Trauma


Entwicklungspsychologische Aspekte bei jungen Kindern

 

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Es liegt nicht in unserer Macht, Kinder vor Erfahrungen wie dem Tod nahestehender Personen, schweren Unfällen etc. zu bewahren. Wir haben aber einen Einfluss darauf, wie wir sie in ihrer Trauer bzw. Traumaverarbeitung begleiten und unterstützen. Abhängig von ihrem Alter und Entwicklungsstand erleben und interpretieren Kinder solche Ereignisse unterschiedlich und brauchen Hilfe beim Verstehen, beim Selbstschutz und beim Verarbeiten des Erlebten. Elementarpädagogische Einrichtungen können dabei eine wichtige Stütze sein, weil sie in der Lage sind, Sicherheit und Ruhe in Zeiten der Krise zu bieten.

In einer Studie an Kindergartenpersonal konnten wir feststellen, dass KindergartenpädagogInnen häufig irritiert und verunsichert über den vermeintlichen Mangel an Trauerreaktionen bei kleineren Kindern sind. Die scheinbar emotionslosen Reaktionen kleinerer Kinder sind oft ihrem Todesverständnis geschuldet. Das mangelnde Verständnis kann die Kinder zwar vor zu viel Konfrontation schützen, es kann aber auch zu Problemen führen, wenn Kinder z. B. Angst bekommen, weil sie denken, der Verstorbene kann im Grab nicht atmen. Manchmal unterschätzen Erwachsene aber auch die Trauer der Kinder, weil sich diese so rasch aus der negativen Emotion ablenken lassen. Es ist daher für alle Bezugspersonen wichtig, die psychischen Vorgänge zu verstehen.

Verlust verarbeiten

Am Beginn der Verarbeitung jedes Verlustes und jedes Traumas steht das Verstehen dessen, was passiert ist. Kinder verstehen den Tod, das traumatische Ereignis, aber auch die eigenen emotionalen Reaktionen sowie die der Erwachsenen nur eingeschränkt. Sie machen sich ihre eigenen Vorstellungen davon, was einerseits schützend und andererseits angstauslösend wirken kann.

Oft werden die Rettungsmaßnahmen als Teil des angstauslösenden Ereignisses abgespeichert und nicht zur Gänze verstanden. Später können dann Blaulicht, Rettungsfahrzeuge etc. zu Stressauslösern werden. Im Unterschied zu Erwachsenen brauchen Kinder und Jugendliche viel mehr Ablenkung. Spielmöglichkeiten sind in jeder Phase des Traumas bzw. der Trauer wesentliche Elemente der Hilfe und Unterstützung. Es schadet jüngeren Kindern, negativen Emotionen Erwachsener oder traumatischen Elementen des Ereignisses ungeschützt ausgesetzt zu sein (dazu gehören auch die Beerdigung oder eine Jahrestagsfeier). In all diesen Situationen geht es darum, Kinder zu schützen, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, aus der Situation zu gehen: sei es faktisch oder durch Spiel.Besonders jüngere Kinder können Emotionen Erwachsener nicht verstehen und ihre eigenen Emotionen noch nicht so genau sprachlich ausdrücken. Sie greifen daher auf andere Ausdrucksformen zurück, wie z. B. im Spiel oder durch Aggression.

Konfrontiert mit heftigen Emotionen Erwachsener benutzen auch Vorschulkinder noch das emotionale Rückversichern, das wir von Kindern zwischen acht und zwölf Monaten kennen. Sie schauen, wenn sie z. B. hingefallen sind, in das Gesicht der Bezugsperson und nehmen deren Mimik tendenziell als Richtschnur für das eigene Verhalten: Lächelt die Bezugsperson, fahren sie mit dem Spiel fort, macht die Bezugsperson ein erschrockenes Gesicht, beginnen sie zu weinen. In traumatischen Situationen schauen Kinder meist mit fragendem Gesichtsausdruck in das Gesicht der Erwachsenen und ersuchen so um eine Erklärung. Sobald sie eine Erklärung bekommen, wie z. B. „Wir sind jetzt alle sehr traurig, weil dein Papa gestorben ist“, verschwindet der Bedrohungscharakter bei Vorschulkindern meist rasch, gesetzt den Fall, die Bezugsperson kann sich kurzfristig beruhigen und ist nicht vollkommen von ihren Emotionen überflutet.

Bei vorsprachlichen Kindern geht es vor allem darum, sie (idealerweise mit einer anderen Bezugsperson) aus der Situation zu nehmen oder ihnen zumindest durch Spielangebote und Orientierung in eine andere Richtung die Möglichkeit zur Ablenkung zu geben. Kinder unter zwei Jahren haben noch kaum eigenständige Fähigkeiten zur Affektregulierung und benötigen dazu eine verständnisvolle und sensible Bezugsperson.

Kinder haben viele Fragen in Bezug auf das Erlebte. Da sich das Verständnis und die Bewältigungsfähigkeiten auf jeder Entwicklungsstufe wandeln, tauchen auf jeder neuen Entwicklungsstufe auch neue Fragen auf. Im Vorschulalter drehen sich die Fragen oft um die mögliche Rückkehr von Verstorbenen oder darum, wo sich Verstorbene befinden.

Das kindliche Todesverständnis

Je nach Alter und Entwicklungsstand macht sich ein Kind völlig unterschiedliche Vorstellungen vom Tod, vom Ereignis und von den Umständen, die dazu geführt haben. Die Vorstellung von Tod besteht aus verschiedenen Unterthemen, die das Kind mit seiner Entwicklung immer besser verstehen kann. Diese betreffen folgende Aspekte:

  • Unumkehrbarkeit sowie Ende der Lebensfunktionen: Eine tote Person kann nicht mehr zum Leben erweckt werden; die Lebensfunktionen enden mit dem Tod.
  • Universalität: Alle Menschen müssen irgendwann sterben.
  • Unvorhersehbarkeit: Man kann den Tod nicht vorhersehen.
  • Unabwendbarkeit: Alle Lebewesen sterben irgendwann einmal, egal wie vorsichtig sie sind oder wie gut der Arzt oder die Ärztin sie behandelt.
  • Zusammenhänge von Ursache und Wirkung: Verschiedene innere und äußere Ursachen können zum Tod führen.

Unumkehrbarkeit

Vorschulkinder haben oft Probleme zu begreifen, dass der Tod endgültig ist, und dass die Körperfunktionen enden. Bezugspersonen müssen dem Kind unter Umständen immer wieder erklären, dass der/die Verstorbene nicht wiederkommen kann, damit es begreift, dass die verstorbene Bezugsperson nicht absichtlich wegbleibt, z. B. weil das Kind nicht brav gewesen ist. Wenn sie auf ein offenes Klima treffen, stellen Kinder häufig viele Fragen über den Tod, dessen Auslöser, aber auch über den Himmel bzw. andere in der kulturellen Vorstellung ihrer Umgebung gängigen Ideen über „das Leben danach“.

Kinder fragen oft, ob und wann der oder die Verstorbene wiederkommt, wo er oder sie sich jetzt befindet, wie er oder sie im Grab auf die Toilette gehen kann etc. Dass Körperfunktionen aufhören, wenn jemand stirbt, ist dem Kind im Vorschulalter nicht klar. Es unterscheidet nicht zwischen Körper und Seele, macht sich allerdings auch nicht so viele Gedanken über logische Widersprüche. Der oder die Verstorbene kann durchaus zugleich im Himmel oben und im Grab unten sein. Der Zusammenhang ist meist magisch, einfach und anschaulich. Das Kind kann z. B. glauben, dass es selbst schuld ist am Tod der Mutter, weil es nicht brav gewesen ist, es kann aber auch einem Gegenstand Schuld geben: „Das Haus ist böse“. Schuldgefühle lassen sich normalerweise durch Information gut beeinflussen: Niemand stirbt, weil man nicht brav gewesen ist.

Erst später stellen Kinder Zusammenhänge zwischen eigenem Verhalten und den Folgen her. Dabei entstehen Schuldgefühle, auch wenn offensichtlich kein Fehlverhalten geschehen ist: „Wenn ich nicht so getrödelt hätte, wäre meine Mutter nicht genau zu dem Zeitpunkt an der Kreuzung gewesen, als der Lastwagen gekommen ist.“ Derartige Schuldgefühle sind viel schwieriger zu beeinflussen. Die einzelnen Elemente der Todesvorstellung entwickeln sich unterschiedlich, stehen aber in Abhängigkeit zueinander. So zeigt sich, dass wohl die Unumkehrbarkeit und die Unvermeidbarkeit als erste und unabhängig voneinander verstanden werden und vorausgesetzt werden müssen, um andere Zusammenhänge zu verstehen.

Was „Ende der Lebensfunktionen“ bedeutet, verstehen Kinder nach und nach. So beantworteten Kinder die Frage, ob eine tote Person sich noch bewegen kann, richtig. Allerdings erklärten sie, dass eine tote Person nichts mehr sieht, weil ihre Augen geschlossen sind. Hinsichtlich des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung verstehen Kinder nachvollziehbarerweise zuerst die sichtbaren und konkreten Todesursachen (erschossen werden, eine Krankheit bekommen). Wobei sie aber noch nicht genau verstehen können, was infolge dieses Ereignisses konkret im Körper geschieht und schlussendlich zum Tod führt. Ältere Kinder meinen oft, dass der Tod etwas, aber nicht alles vom Lebendigsein nimmt. Tote Menschen haben alles, was Lebende haben, nur weniger davon. Sie essen noch Kuchen, aber nur wenig; sie sprechen noch, aber leise. (Vgl. Plieth, 2015)

Das kindliche Suizidverständnis

Beim Suizid geht es zum einen darum zu begreifen, dass dies ein absichtlich herbeigeführter Tod ist, zum anderen geht es darum, die möglichen Ursachen dafür zu sehen. Der Suizid wird von den Kindern meistens als eine Art Unfall betrachtet. Vorschulkinder können unterscheiden zwischen sterben und sich das Leben nehmen. Allerdings begreifen sie noch nicht, dass die Absichtlichkeit relevant ist. Aus diesen Gründen ist es meist nicht zu erwarten, dass man mit einem Vorschulkind die genauen Suizidmittel oder die genauen Umstände des Suizids besprechen muss. Allerdings darf man nicht vergessen, dass gerade ein Suizid unter Umständen weite Kreise zieht, sodass auch jüngere Kinder mit Details des Ereignisses konfrontiert werden, welche für sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes noch nicht versteh- und erklärbar sind.

Grundprinzip hierbei ist: Man muss nicht alles sagen, aber was man sagt, muss wahr sein. Um zu verhindern, das betroffene Kind im Gespräch zu überfordern, wird empfohlen, sich an den kindlichen Fragen zu orientieren und dabei auf die Wortwahl zu achten, da besonders kleinere Kinder Beschreibungen wörtlich nehmen. Es ist sehr wichtig zu betonen, dass das Kind in keiner Form schuld ist, dass man es gemeinsam schaffen wird und dass man trotz allem eine Familie bleibt.

Akutreaktionen auf Traumata

Vor allem akute Traumareaktionen sind vielfältig und können sich rasch ändern. Die Symptome nach einem einmaligen traumatischen Ereignis wie Verlust und Tod (Trauma Typ 1) unterscheiden sich allerdings teilweise massiv von jenen nach Trauma Typ 2: chronischen (sexueller Missbrauch), kumulativen (viele kleinere Ereignissen, die erst in der Summe traumatisch wirken, z. B. emotionaler Missbrauch) oder zeitlich begrenzten traumatischen Ereignissen (Krieg und Flucht). Während im Fall der einmaligen Traumatisierung typische Symptome wie ungebetene Erinnerungen, Vermeidungshandlungen und Übererregtheitssymptome im Vordergrund stehen, sind es beim Typ 2-Trauma neben diesen Symptomen meist gravierendere Entwicklungsdefizite, welche im Vordergrund stehen, z. B. eine Unfähigkeit zur Affektregulation, gestörte Impulskontrolle, Beeinträchtigungen in der Bindungsaufnahme und ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl.

Traumareaktionen von Kindern

Bereits im Säuglings- und Kleinkindalter reagieren Kinder auf das Erleben traumatischer Situationen. Sie sind z. B. stark irritierbar und schwer zu beruhigen. Weil sie besonders feinfühlig die Reaktionen Erwachsener spüren, ist es oft notwendig, dem trauernden Elternteil Hilfestellung zu geben, damit ein fürsorglicher und ruhiger Umgang mit dem Kind möglich ist. Besonders der Verlust vertrauter, alltäglicher gemeinsamer Routinen irritiert junge Kinder massiv. Daher ist es wesentlich, das Erwachsenenschutzschild und den normalen, gewohnten Alltag so weit als möglich beizubehalten bzw. wiederherzustellen.

Im Vorschulalter zeigen Kinder nach traumatischen Erfahrungen verstärktes Klammern, Suche nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie bringen damit ihre Verunsicherung zum Ausdruck. Zugleich sind sie oft aggressiver und können ihre Impulse schlechter kontrollieren. Auch regressive Verhaltensweisen, wie Bettnässen oder rückläufige Sprachentwicklung, kommen in diesem Alter oft vor. Das rasche Wechseln zwischen negativen und positiven Emotionen (durch Spiel und Ablenkung) sowie zwischen aggressivem Verhalten und Anklammern ist typisch. Das kann Bezugspersonen besonders irritieren. Ungebetene Erinnerungen an das Trauma kommen vor, das erleben Kinder aber nicht immer als stressreich und unkontrolliert. Häufig zeichnen oder spielen sie traumatische Erfahrung nach. Kinder im Vorschulalter suchen Erklärungen für das Geschehene und sollten darüber kindgerecht informiert werden.

Zentrale Bedürfnisse nach Trauma und Verlust

Aus den Besonderheiten kindlicher Trauer und Traumareaktionen lassen sich altersund situationsspezifische Bedürfnisse ableiten, die den Umgang mit den Kindern bestimmen sollten. Dabei unterscheiden sich die Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen nach Verlust und Trauma in ihrem Kern nicht wesentlich. Allgemeine Bedürfnisse in der Akutphase bestehen darin, zu verstehen, was passiert ist, mit nahen Bezugspersonen in Kontakt zu kommen sowie ein Gefühl der Sicherheit und der Kontrolle wiederzuerlangen.

Die wohl grundlegendste Hilfestellung bei Traumatisierungen und Verlusterlebnissen von Kindern ist aber die Unterstützung der Bezugspersonen dabei, dem Kind möglichst heilungsfördernde Umgebungen zu bieten.

Die Magie des Gewöhnlichen

Wichtig ist daher das Coaching von Bezugspersonen (Eltern, KindergartenpädagogInnen etc.) im Umgang mit betroffenen Kindern. Denn das Umfeld der Kinder, ihr Unterstützungssystem, soll wieder in die Lage versetzt werden, ihre natürlichen Funktionen auszuüben. Die US-amerikanische Psychologin Ann S. Masten betont, dass Kinder nach außergewöhnlichen Ereignissen die ganz normale Zuwendung und Unterstützung fürsorglicher Erwachsener brauchen. Sie nennt das die „Magie des Gewöhnlichen“ (vgl. Masten, 2001).

Direkt nach einem traumatischen Ereignis müssen betroffene Kinder geschützt werden, indem man sie weg vom Schadensereignis und vor Schaulustigen in Sicherheit bringt. Ein sicherer Ort muss äußere und innere Sicherheit bieten. Dabei spielen vertraute Bezugspersonen ebenso eine wesentliche Rolle wie vertraute Orte und ein vorhersehbarer Alltag.

Gerade der Kindergarten kann in stürmischen Zeiten für Kinder zu einem Ort der Sicherheit und Ruhe werden. Distanz zum belastenden Inhalt zu gewinnen, ist wesentlich. Das kann in Spiel- und Ablenkungsmöglichkeiten geschehen.

Wesentlich für Kinder im Vorschulalter ist eine ehestmögliche Wiederaufnahme von Alltagsroutinen, was das Sicherheitsgefühl stärkt. Dabei spielt der Kindergarten eine sehr wichtige Rolle.

Zu beachten gilt, dass trotz allem klare Grenzen vorgegeben werden, beispielsweise wenn betroffene Kinder mit aggressiven oder trotzigen Verhaltensweisen reagieren. In solchen Fällen geht es darum, den Wutausdruck zu erlauben, zu normalisieren, aber klare Grenzen bei Fremd- oder Selbstschädigung zu setzen und Selbstkontrolle zu ermöglichen.

Da Kinder im Vorschulalter sich nur eingeschränkt verbal ausdrücken können, ist es wesentlich, ihnen andere Ausdrucksmöglichkeiten, wie z. B. Spielen, Malen etc., zur Verfügung zu stellen.

Kindern Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu geben, ist ein wesentlicher Bestandteil, um Kontrollgefühl zurückzugewinnen. Rituale können helfen, mit negativen Emotionen umzugehen, Erinnerungshilfen können unterstützen, allein oder gemeinsam zu trauern und sich an Verstorbene zu erinnern (z. B. mittels Erinnerungsbox oder -collage).

Die Wirksamkeit von Unterstützungsmaßnahmen nach traumatischen Erfahrungen wurden vom US-amerikanischen Verhaltensforscher Steven E. Hobfoll und KollegInnen in fünf Elemente zusammengefasst, die es bestmöglich zu fördern gilt:

  • Sicherheit – die Herstellung sicherer Orte
  • Stressreduktion/Ruhe – die Möglichkeit der Ablenkung und Stressreduktion
  • Selbst- sowie kollektive Wirksamkeit – Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten finden
  • Verbundenheit – nahe Bezugspersonen finden
  • Hoffnung/positive Zukunftsorientierung – Ausblick auf die nächsten Schritte finden, sodass die Welt wieder vorhersehbar und sicher wird.

Umgang mit traumatisierten Kindern

Wie bereits oben betont, sind Kindergärten für traumatisierte Kinder Orte der Sicherheit und Stabilität. Sie sind die Orte, in denen die „Magie des Gewöhnlichen“ ihre Wirksamkeit am besten entfalten kann. Im Kindergarten gilt daher, ebenso wie zu Hause, das Motto: Alltagsroutinen beibehalten und klare Grenzen setzen. So wichtig es ist, dass KindergartenpädagogInnen sich zutrauen, mit den Kindern über traumatische Ereignisse zu sprechen, sollte der Kindergarten ein Ort sein, an dem Normalität herrschen darf und an dem man eben nicht ununterbrochen mit dem Ereignis konfrontiert wird.

Gängige Fehler im Umgang mit traumatisierten Kindern sind: Überbehütung, zu viel oder zu wenig Fokus auf das Trauma und die damit verbundenen Reaktionen, zu wenig Eingehen auf die kindlichen Bedürfnisse. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Kinder das Ereignis immer wieder ansprechen werden und auch lange Zeit danach noch Fragen kommen können.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei bestimmten Ereignissen, wie z. B. dem Tod eines Kindes, eventuell ein hinterbliebener Elternteil Trost und Kontakt im Kindergarten sucht, weil dieser ein Ort ist, an dem sich das Kind wohlgefühlt hat. KindergartenpädagogInnen sind dann neben der Betreuung der Kinder meist auch noch mit der ‚Betreuung‘ der Bezugspersonen konfrontiert.

Umgang mit (Haupt-)Betroffenen

Der Umgang mit den betroffenen Bezugspersonen ist vor allem nach dem Tod von Kindergartenkindern bzw. beim drohenden Tod von Kindern durch Erkrankung sehr belastend für das Kindergartenpersonal. Dabei ist es für hinterbliebene Eltern wesentlich, im Kindergarten Verständnis und ein offenes Ohr zu finden. Kritische Zeitpunkte können z. B. das Abholen der Gegenstände des verstorbenen Kindes im Kindergarten sein. In diesen Situationen ist die Unterstützung der KindergartenpädagogInnen durch die Leitungsperson besonders wesentlich. Für die Eltern in dieser Situation da zu sein und ihre Emotionen auszuhalten, kann sehr belastend sein, andererseits kann das Personal durch einen guten Kontakt zu den Eltern auch einen Teil der verlorenen Kontrolle zurückgewinnen und die Beziehung zur Elternschaft insgesamt gestärkt werden.

Für hauptbetroffene Kinder und Geschwisterkinder soll der Kindergarten ein Ort sein, an dem sie Sicherheit und Ruhe finden. Sofern das Ereignis nicht alle anderen Kinder mitbetrifft, ist es wesentlich, den hauptbetroffenen Kindern ein Klima der Offenheit zu bieten und sie zugleich vor der Konfrontation in der Gruppe zu schützen. Dazu genügt es meistens, wenn eine der KindergartenpädagogInnen sich als AnsprechpartnerIn zur Verfügung stellt, an die sich das Kind jederzeit wenden kann. Zudem muss den hauptbetroffenen Kindern besonders Verständnis in Bezug auf Stressreaktionen entgegengebracht werden. Das erfordert gute Elternarbeit – sowohl mit den betroffenen Eltern als auch mit den Eltern der anderen Kinder.

Was brauchen Teams zur Unterstützung?

Kindergartenteams brauchen in Zeiten der Krise eine gute Leitung. Die Führungsperson muss ausreichend Informationen und Unterstützung für das Team bereitstellen. Das kann Akuthilfe durch die jeweils vorhandenen Kriseninterventionsdienste beinhalten. Es kann aber auch bedeuten, dass die Leitung dem Team ermöglicht, das Ereignis untereinander nachzubesprechen und eventuell mittel- bzw. längerfristig Unterstützung zu suchen.

Kindergartenkinder gehen unbefangen mit dem Tod um und können durch ihre Überzeugung, dass Verstorbene irgendwo noch am Leben sind, Erwachsenen oft Hoffnungsträger sein. Durch ihre Fähigkeit, immer wieder in die Trauer hinein-, aber auch herauszuswitchen, werden sie sogar zum Vorbild für gesunde Trauerarbeit.

 

Bildnachweis: PublicDomainPictures/pixabay

Trauma und Trauer

Trauer ist eine emotionale Reaktion nach Verlust, die neben Traurigkeit viele Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Sehnsucht etc. umfassen kann. Das Wort meint aber auch den Trauerprozess, der stark kulturell und sozial geprägt ist. Kinder und Erwachsene unterscheiden sich nicht in den Emotionen, sondern darin, wie sie die auslösende Situation sehen und wie sie mit Gefühlen umgehen.

Trauma meint zum einen das traumatische Ereignis, in dem man das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von sich oder anderen bedroht sieht, zum anderen die Auswirkung des Ereignisses auf das Erleben und Verhalten der Betroffenen. Jüngere Kinder können andere Er eignisse als traumatisch bewerten als Erwachsene – z. B. Hundebisse und medizinische Eingriffe (vgl. APA, 2015). Zudem reagieren Kinder anders auf Traumata bzw. ihre Reaktionen sind oft nicht offensichtlich in Zusammenhang mit dem Erlebten, was falsch gedeutet werden kann.

Die kindliche Trauer

Kinder trauern nicht kontinuierlich. Sie gehen immer wieder aus der Trauer, weil sie emotionale Schmerzen nicht so lange aushalten können wie Erwachsene. Zudem dauert kindliche Trauer länger und taucht an jedem entwicklungsrelevanten Punkt wieder auf. Bestimmte Themen der Trauerarbeit stellen sich daher für das Kind auf jeder Entwicklungsstufe unter Umständen neu, weil ein neues Verständnis und neue Bewältigungskompetenzen erworben wurden. Besondere Charakteristika frühkindlicher Trauer:

  • Wahrnehmungserinnerung an das Erlebte auch bei fehlender Verbalisierungsfähigkeit;
  • eingeschränktes Verstehen des Todes, des Ereignisses und der Emotionen;
  • eingeschränkte Fähigkeit, negative Emotionen auszuhalten („Switchen“);
  • eingeschränkte Fähigkeit zum verbalen Ausdruck; Aufgreifen neuer Fragen und Aufgaben auf jeder Entwicklungsstufe.

Entgegen der gängigen Meinung werden auch frühe Traumata von Kindern erinnert. Es kann aber sein, dass diese Erinnerungen nur auf der Wahrnehmungsebene existieren und nicht verbalisiert werden können. Das Kind hat eventuell Bilder, Geräusche oder Gerüche aus der traumatischen Situation abgespeichert, es fehlt jedoch der Zusammenhang wie Ort, Zeit oder Reihenfolge der Ereignisse, für die es eine reifere Form der Verarbeitung braucht. Vorsprachliche Erinnerungen können später durch Erinnerungsauslöser aktiviert werden.

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