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Mein größtes Geschenk für die Kinder: Ich bin ganz für euch da!

Professionelle PädagogInnen sorgen für eine gute Spiel- und Lernatmosphäre

 

UKI_4_2021_Artikel

PädagogInnen investieren täglich viel Zeit in die Gestaltung von Rahmenbedingungen, damit Kinder hoch engagiert spielen und lernen können. So wie wir täglich den Raum für die Kinder vorbereiten, Impulse und Angebote für einzelne Kinder und die Gruppe planen, sollten wir auch beständig unser „Sein“ reflektieren.

Unter dem „Sein“ verstehe ich vor allem die Bewusstheit darüber, dass wir beständig mit unserer gesamten Persönlichkeit auf die Kinder wirken. Die „gut vorbereitete Umgebung“ allein ist noch kein Garant für hochtouriges kindliches Lernen. Nur wenn sich Kinder in dieser Umgebung auch sicher und wohl fühlen (dies gilt nicht nur für die Eingewöhnungsphase!), können sie sich auf ein engagiertes Spielen und Lernen einlassen. Der Sicherheits- und Wohlfühlfaktor ist Voraussetzung für die Bildungswirksamkeit aller pädagogischen Angebote – und dafür sind die pädagogischen Fachkräfte verantwortlich.

Die Bedeutung des „Seins”

Mit ihrer Persönlichkeit werden PädagogInnen zum „Bildungsmittel“ für Kinder, sie vermitteln Bildung. Dabei spielt unsere Sprache eine zentrale Rolle, denn durch sie vermitteln wir zwischen der Welt und dem Kind.

Zum anderen hängt auch ein Großteil der Gruppenstimmung von der „Gestimmtheit“ der PädagogInnen ab. Spielende Kinder sind immer mit „einem Ohr“ bei den Beziehungspersonen und nehmen Stimmungen auf: Wie kommunizieren die Erwachsenen, wie bewegen sie sich, wo ist ihre Aufmerksamkeit?

PädagogInnen, die gelassen und präsent sind, schaffen eine entspannte Atmosphäre. Sie vermitteln damit Kindern jene Grundsicherheit, die sie benötigen, um entspannt und engagiert zu spielen bzw. bei Bedarf zur Ruhe zu kommen.

Verlieren Fachkräfte untertags immer wieder die Fassung, dann steigen auch bei den Kindern die Cortisolwerte. Unruhe macht sich breit. Jede Kindergruppe ist darauf angewiesen, dass die Erwachsenen in den vielen komplexen Alltagssituationen Gelassenheit bewahren. Gelassene und geduldige PädagogInnen weben ein unsichtbares Schutznetz um den Raum des Kindes.

Die deutsche Gestalttherapeutin Katharina Martin formuliert es so: „Geduld ist der Puffer zwischen der schnellen Welt der Erwachsenen und dem langsamen, der Natur näheren Tempo des Kindes. Die Welt des Kindes und seine Strukturen sind viel fragiler – Ungeduld durchbricht mit ihrer Kraft die unsichtbaren Schilde um die Lebensprozesse des Kindes. Ungeduld ist von ihrem Wesen her eine Art Gewalttätigkeit.“ (Martin/Jehle, 2020)

Ähnlich sieht es Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert, die bis 2017 an der Universität Wien lehrte und in einer Metaanalyse 40 Studien untersuchte. Dabei fand sie heraus, dass die Bindungssicherheit der Kinder zu einer pädagogischen Fachkraft viel eher mit deren professionellem Handeln bzw. der Gruppenführung zusammenhängt, als mit der Summe individueller Zuwendungen zu einzelnen Kindern. Wenn das Gruppenklima durch empathisches Verhalten der PädagogInnen geprägt ist, dann fühlen sich Kinder wohl und es können sichere Beziehungen entstehen. (Vgl. Ahnert, 2010)

Die folgenden zehn Fragen sind für mich wesentliche Aspekte pädagogischer Basisarbeit und sollen Fachkräfte bei der Selbstreflexion unterstützen. Es geht dabei um die Bewusstheit über mein „Sein” in der Gruppe und um meine tägliche innerliche Vorbereitung auf die Begegnungen mit den Kindern.

  • Bin ich gelassen und präsent?

Hektische Erwachsene, die sich selbst wenig spüren, haben wenig Handlungsfreiheit. Wache, aufmerksame und zugleich gelassene PädagogInnen hingegen geben Kindern die Kraft und Sicherheit sich auf Spielprozesse einzulassen. Waches „Präsent- Sein” ist Voraussetzung um zu erkennen, ob und welche Unterstützung Kinder benötigen oder ob Zuwarten angesagt ist. Nur in möglichst entspanntem Zustand können wir gut zuhören, uns einfühlen, verhandeln, abwarten, beobachten etc. Ist der Blick jedoch durch Stress eingeschränkt („Tunnelblick“), fällt es schwer, einen kühlen Kopf und zugleich ein warmes Herz zu bewahren.

  • Bin ich lebendig und energiegeladen?

Aus Seminaren kennen wir: Treten ReferentInnen schlapp und energielos auf, so werden die TeilnehmerInnen schnell müde und empfinden die Situation anstrengend. Ist jemand aber hochmotiviert und energiegeladen, dann vergeht ein Tag wie im Flug und wir gehen gestärkt nach Hause. Dieses Prinzip gilt auch für die Elementarpädagogik: Kinder aktivieren nur so viel Energie und Konzentration, wie die PädagogInnen einbringen. Vor allem zeigt sich dies im Interesse der Fachkräfte für kindliche Äußerungen und im Antwortverhalten. Erich Fromm (1900–1980), deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, formuliert es so: „Nur wer lebendig ist, kann antworten; oder genauer: je lebendiger jemand ist, desto mehr kann er antworten.“ (Fromm, 1979)

  • Bewege ich mich ruhig im Raum?

Die Evolution hat es im Lauf der Menschheitsgeschichte so eingerichtet, dass Kinder feine Sensoren für all jene Signale haben, die erwachsene Bezugspersonen aussenden. PädagogInnen, die sich hektisch und laut im Raum bewegen, vielleicht sogar begleitet von schnellen Bewegungen oder dramatischen Gesten, signalisieren Gefahr in Verzug. Entsprechend verhalten sich die Kinder: Ihr Stresslevel steigt und sie sind in Alarmbereitschaft. Vom engagierten Spielmodus wechseln sie in einen Fluchtmodus, spielen bzw. beschäftigen sich nur mehr oberflächlich und neigen verstärkt zu Konflikten.

  • Ist mir bewusst, wie mein Standort im Raum wirkt?

Wo und wie das kindliche Spiel begleitet wird, hat großen Einfluss auf das Lernklima. Gerade wenn sich mehrere Erwachsene gleichzeitig im Gruppenraum aufhalten, braucht es eine „Raumchoreographie“ mit klaren Absprachen, wer wofür zuständig bzw. hauptverantwortlich ist und wer wo anzutreffen ist. So könnte sich eine Fachkraft am Morgen während der Bringzeit in der Nähe der Tür zur Garderobe aufhalten, dort alle Ankommenden begrüßen und zugleich die Kinder beim Übergang ins Gruppengeschehen feinfühlend unterstützen.

Eine zweite Fachkraft, die sich sich im Rauminneren aufhält und das gesamte Gruppengeschehen gut überblickt, ist für das konzentrierte und ungestörte Spiel der Kinder verantwortlich.

Zu bedenken ist dabei die unterschiedliche Wirkung auf das Spielverhalten: Stehe ich mitten im Raum (herum) und blicke auf die Kinder hinab? Oder sitze ich am Rand – den Blick in den Raum gerichtet – an einem Tisch bzw. am Boden, eine spielende Gruppe begleitend und das rege Treiben interessiert beobachtend?

  • Spreche ich ruhig und vermeide Aufgeregtheit?

Oft rufen PädagogInnen schallend laut durch den Raum, wodurch alle Kinder sich . Sie benötigen viel Energie, um wieder hinein zu finden. Besser ist, zum betreffenden Kind zu gehen, diese eventuell zu berühren und mit ruhiger Stimme anzusprechen. Auch hektische, emotionale und laute Gespräche mit KollegInnen oder Kindern haben eine ähnlich störende Wirkung auf das Gruppenklima. Das eigene Sprachverhalten kritisch und liebevoll in den Blick zu nehmen sensibilisiert für einen bewussteren Spracheinsatz. Druck erzeugt, wer etwa verkündet: „Ihr müsst noch schnell …!“. Besser und entspannender wäre, Stresswörter wie „müssen“ und „schnell“ sparsam zu verwenden.

  • Sage ich, was ich möchte anstelle von Nicht-Sätzen?

Jeder „Nicht-Satz“ wird vom Gehirn zuerst ohne „Nicht“ verarbeitet. Weil Kinder noch sehr impulsiv sind, handeln sie, bevor sie den Satz mit dem „Nicht“ zu Ende gedacht haben. Kinder möchten in den meisten Fällen kooperieren, was durch „Nicht-Sätze“ erschwert wird. Deshalb sollten wir sagen, was wir uns wünschen bzw. erwarten. Nachdem die meisten Erwachsenen aber selbst mit einer „Negativ-Sprache“ sozialisiert wurden, fallen uns Positivformulierungen im Allgemeinen schwerer: „Lass das!“ kommt meist schneller über die Lippen als „Tu das!“. Aus diesem Grund habe ich während meiner Zeit als Leiterin gemeinsam mit dem Team alle häufig verwendeten „Nicht-Sätze“ in positive Aussagen umformuliert und auf „Denk-mal-Zettel“ geschrieben. An verschiedenen Orten im Haus platziert, erinnerten sie uns an den Vorsatz, das kindliche Kooperationsbedürfnis zu erleichtern.

  • Achte ich auf eine positive Sprache anstelle von Negativbotschaften?

In aufgeheizten Situationen verliert man schnell nicht nur die innere Ruhe, sondern auch den guten Ton. Beginnt man dann zu schimpfen (vielleicht sogar zu drohen, beleidigen, beschämen, beschuldigen, eine Moralpredigt zu halten etc.), werden Kinder ge- und verstört. Alle fühlen sich angesprochen und werden aus dem konzentrierten Tätigsein herausgerissen. Je mehr wir schimpfen und Unzufriedenheit ausstrahlen, umso unruhiger, weinerlicher und aggressiver werden die Kinder. Niemand fühlt sich in einem solchen Gruppenklima wohl. Sage ich aber, was ich möchte oder was ich vermute, dann bleibe ich auch in herausfordernden Situationen in Kontakt mit dem Kind. Wenn ein Kind für seine Bedürfnisse und Wünsche kämpft, so ist dies für seine Ich-Entwicklung wichtig und braucht uns nicht unnötig zu sorgen.

  • Gebe ich jedem Kind Ansehen & Anerkennung?

„Schau!“ rufen Kinder häufig und wenden sich erwartungsvoll der pädagogischen Fachkraft zu. Jedes Kind will wahrgenommen werden und Bestätigung bekommen (wenngleich keine oberflächliche Bewertung wie „Super”, „toll”, „sehr gut!“). Es möchte, dass sich seine Freude, sein Stolz in den Augen der Bezugsperson spiegeln. So entwickelt es einen gesunden Selbstwert. Anerkennung, die sich auf die konkrete Handlung des Kindes bezieht, lenkt zudem die Aufmerksamkeit auf eigene Lernprozesse und Lernstrategien. Gesehen zu werden verleiht Ansehen und das Gefühl der Einzigartigkeit sowie innere Stärke. Wer Ansehen genießt, kann eher prosozial agieren, ist also hilfsbereiter. Und wer gehört wird, muss kein unerhörtes Benehmen an den Tag legen. (Vgl. Kapfer-Weixlbaumer, 2014)

  • Führe ich interessierte Gespräche mit Kindern?

Dialoge mit einzelnen Kindern oder mit Kleingruppen über Gefühle, Spielinteressen, Ideen, Probleme und Herausforderungen etc. wirken auf die gesamte Gruppe stärkend. Solche Gespräche vermitteln Beziehungsbotschaften, etwa „Ich interessiere mich für Dich/Euch, ich sehe Dich/Euch. Es freut mich, wie engagiert ihr lernt oder wie gut ihr zusammenarbeitet. Ich bin gerne mit Dir/Euch zusammen!“ Internationale Studien weisen gute Gespräche als ein zentrales Qualitätsmerkmal aus, denn in einer von dialogischer Zugewandtheit und Wertschätzung geprägten Atmosphäre können Kinder ihren Bedürfnissen entspannt und engagiert nachgehen. Wer gelassen und präsent ist, wird im Alltag jene Momente leichter entdecken, die sich für gute Gespräche anbieten. Damit aus Erfahrungen Gedanken werden, brauchen Kinder Erwachsene, die ihnen sprachlich spiegeln, was sie bei den Kindern wahrnehmen.

  • Sorge ich gut für mich selbst?

Einen ganzen Arbeitstag lang voller Energie und Präsenz zu sein geht nur, wenn wir zwischendurch unsere „Batterien“ aufladen. Es lohnt sich heraus zu finden, wie man selbst am besten Energie tanken kann, um dies dann bewusst in den Berufsalltag einzubauen. Für mich hat etwa Teetrinken eine entspannende Wirkung. Deshalb hatte ich während meiner Zeit als Pädagogin im Gruppenraum immer ein hübsches Tablett mit Teeservice, dessen Anblick allein mich bereits entspannte. Außerdem habe ich mir angewöhnt, zwischendurch meinen Atem bewusst wahrzunehmen oder einige Rückenübungen auszuführen, um gelassen zu bleiben und Stress abzubauen. Solch kleine Achtsamkeitsübungen sind uneingeschränkt zu empfehlen. Sie tun nicht nur uns Fachkräften gut, sondern werden auch gern von den Kindern nachgeahmt.

 

 

Bildnachweis: shutterstock.com/Oskana Kuzmina

Anna Kapfer-Weichlbaumer, MA

Jahrgang 1962. (Sonder-)Kindergartenpädagogin, 17 Jahre in oö. Kindergärten tätig, Studium Psychomotorik, mehrere Auslandsaufenthalte. Lehr- und Fortbildungstätigkeit, seit 2013 Fachredakteurin bei UNSERE KINDER.

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