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Menschen im Porträt: Konstantin Wecker

"Ungehorsam ist etwas ungemein Wichtiges."

Musiker, Schauspieler, Autor - Konstantin Wecker genau zu beschreiben, ist schwierig. Seit mindestens 50 Jahren steht der heute 72-Jährige auf der Bühne und macht Kunst mit Worten und Musik. Er selbst sagt, er singe "für die seitlich Umgeknickten". Damit verwendet er ein Zitat eines seiner Lehrmeister, des Kabarettisten und Lyrikers Hans Dieter Hüsch (1925 - 2005). Mit seiner Kunst möchte Wecker Menschen erreichen, die mit dem Herzen denken, sie bestärken und ermutigen. Immer wieder ruft der Liedermacher zum Ungehorsam auf, gewaltfreien Widerstand gegen eine Welt, in der sich alles um Macht und Geld dreht.

Judith Moser-Hofstadler in UNSERE KINDER 5/2019

Sie sprechen in Ihren Texten und Liedern immer wieder das Thema Bildung und Erziehung an. Welche Emotionen verbinden Sie aus Ihren eigenen Kindheitserfahrungen heraus mit diesen Begriffen?

Bildung kann etwas sehr Schönes und Wichtiges sein und wird dann verzerrt, wenn sie ausschließlich im Sinne einer Leistung erfordert wird. Das ist ein großer Unterschied. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Meine Mama hat immer Gedichte vor sich hergesagt. Auswendig. Das war für mich ganz zauberhaft als kleiner Bub. Ich hab sie nicht verstanden, aber ich mochte ihre Leidenschaft für Gedichte. Und dann haben mich der Rhythmus und die Melodie fasziniert. Und so hab ich begonnen, Gedichte zu lieben.

Wenn man mir irgendwann später ein Gedicht vorgesetzt hätte, wie es in der Schule der Fall ist: Lesen, Interpretieren, auswendig Lernen, dann hätte ich nie in meinem Leben Gedichte geliebt, glaube ich. Und ich hab einfach ein Riesenglück gehabt mit meinen Eltern. Noch dazu ein Wunder: Mein Vater war ein antiautoritärer Mann, 1914 geboren, das war die höllische Zeit der schwarzen Pädagogik. Und ich hab einen sehr sanften Vater gehabt und auch meine musikalische Erziehung, die keine eigentliche Erziehung war, sondern ein Wecken der Leidenschaft. Einfach dadurch, weil meine Eltern selbst Leidenschaft für die Musik und für die Kunst hatten. Und wir müssen, wenn wir über die Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft nachdenken, vor allem eines bedenken: In einer Wettbewerbsgesellschaft gibt es nur Verlierer. Es gibt vielleicht einen, der Milliarden macht oder sonst was, aber alle anderen sind immer nur Verlierer.

Warum tun wir uns das an?

Es wäre überhaupt nicht notwendig. Wir könnten auch in einem liebevollen Miteinander leben, wo nicht einer den anderen immer ausstechen muss. Und ich bin der Meinung: An all dem, was wir hier an Elend erleben, was es auch gibt an Kriegen und allem, das hat alles mit diesem Patriarchat zu tun. Wir leben seit Jahrtausenden mit diesem Patriarchat und es hat versagt.

Die Erde ist kaum mehr rettbar zerstört worden, Menschen werden unterdrückt, heute genauso wie früher, auch wenn’s nicht mehr Sklaverei heißt, Länder werden mit Kriegen überzogen – warum das alles? Aus Geldgründen! Es geht nur um diesen Scheißverkauf von Waffen!

Aber was kann man dem entgegenhalten?

Janusz Korczak (Anm. polnischer Reformpädagoge 1878–1942) hat einmal gesagt: „Die Welt reformieren heißt die Erziehung reformieren.“ Ich hatte das Glück, mit Arno Gruen, dem großen Psychologen (Anm. 1923–2015), befreundet zu sein. Der hat mir am Ende seines Lebens gesagt: „Mich verbittert, dass von sogenannter wissenschaftlicher Seite versucht wird, der Leistungsgesellschaft zu dienen, wenn man sagt, der Mensch ist eigentlich ein unempathisches Wesen, der Mensch sei von Grund auf ein Wolf unter Wölfen, ein Feind für andere Menschen.“ Und er sagt: „Der Mensch ist ein empathisches Wesen.“ Kinder sind sehr empathisch, wenn man es ihnen nicht aberzieht mit Gehorsam und Autorität.

Da hat die Erziehung sehr viel Arbeit vor sich. Mein Sohn arbeitet als Erzieher. Er hat mir manchmal erzählt, wie schwer das ist, wenn die Kinder ein Elternhaus haben, in dem noch Ohrfeigen an der Tagesordnung sind, und wie schwer man es dann als Erzieher hat. Man kann eigentlich nichts anderes machen, als eine Stütze zu sein, glaub ich.

Antiautoritär heißt ja nichts anderes, als dass man ein Kind nicht zum Gehorsam erzieht. Er hat so recht, der Janusz Korszac: Mit Menschen, die anders erzogen worden wären in den 1920er Jahren oder um die Jahrhundertwende, hätte es kein Drittes Reich gegeben. Es war nur möglich durch diese schwarze Pädagogik.

Das hab ich bei meinem Vater gesehen, dieses Antiautoritäre von ihm hat ja auch beinhaltet, dass ich gegen ihn als Autorität vorgegangen bin, und das muss man aushalten. Also man muss diese Stärke haben, das dem Kind, dem Jugendlichen zuzugestehen. Drum ist diese schwarze Pädagogik für die Eltern ja einfacher. „Du setzt dich hin, du hältst den Mund, du tust, was ich sag …“

Das ist ja für die Gesellschaft insgesamt einfacher, wenn Menschen „funktionieren“.

Und drum sehnen sich ja so viele Erwachsene danach. Aber das, was hier passiert, kann man nicht vom Kapitalismus, von der Leistungsgesellschaft trennen. Die Leute sind so verunsichert. Jugendliche haben schon Angst, ob sie jemals eine Wohnung kriegen. Dann weiß man auch, dass die Rente nicht so was Sicheres ist, wie man früher gedacht hat, also dieser Druck der auf den Menschen lastet, diese Unsicherheit! Es ist der Kapitalismus, der hat sich so entwickelt, es ist doch unglaublich. Was hab ich da gelesen, dieser Mensch von Amazon hat 36 Milliarden privat, das ist einfach nur pervers!

Da müsste selbst ein Kapitalist sagen: Das kann nicht gerecht sein. Das Geld ist es ja nicht, was mir Angst macht, die Macht ist es. Die Macht, die man mit so viel Geld hat, wo man sich so viele Politiker kaufen kann damit.

Ich hatte neulich ein Gespräch mit einer 16-jährigen Schülerin, der hab ich auch gesagt: Sei ungehorsam, denk dir nichts und vor allem: Sei nicht angepasst. Die Jugendlichen haben’s so schwer, weil die müssen dauernd irgendwo geliked werden und sie müssen schön und schlank genug sein und alles Mögliche und müssen immer funktionieren. Es ist wichtig, diejenigen zu stärken, die keine Mitläufer sind. Das ist eigentlich das, was ich mit meinen Liedern seit 50 Jahren mache.

Ich hab gelesen, dass Sie anregen, dass jetzt die Zeit ist, in der sich Menschen deklarieren müssen. Grundsätzlich ist es so, dass in ihre Konzerte Menschen kommen, die mit ihrer Meinung einverstanden sind.

Das ist auch gut so! … Das ist ein Ermutigen, darum geht’s. Und das ist natürlich anders als bei einem Erzieher, der kann nicht erwarten, dass die Jugendlichen alle seiner Meinung sind. Aber ich bin ja nicht Erzieher, ich bin Künstler. Und meine Möglichkeit ist, diejenigen zu ermutigen, die meinen, sie könnten alleine ja doch nichts machen. Ich glaube nach wie vor, dass die, die mit dem Herzen denken, in der Mehrheit sind. Aber nicht annähernd so lautstark wie die Krakeeler. Und wir müssen jetzt auch einmal ein bisschen laut werden. Sonst werden wir überbrüllt. Ich glaube, die vielen, die vielleicht am Schwanken sind, die kann man mit Poesie noch erreichen und bestärken, ermutigen.

Und, was man nicht vergessen darf: Dieses Publikum, das ich ermutige, ermutigt auch mich! Ich fühl mich auch plötzlich wieder aufgehoben. Manchmal, wenn ich nach bestimmten facebook-Posts meine Kommentare lese, dann könntest du auch sagen: Ja, trau ich mich jetzt überhaupt noch auf die Straß‘. Das ist wirklich nicht mehr lustig.

Aber dann erlebe ich diese Liebe von meinem Publikum, und das ist einfach wunderschön und macht mir wieder Mut. Dabei ist es so traurig, weil ich rufe zum Widerstand auf, aber nie zu Gewalt. Der Pazifismus ist mir in die Wiege gelegt. Und ich bin auch bereit, immer wieder jene zu umarmen, die mir in einem Posting eine Bombe in den Hintern stecken wollen. Und ab und zu klappt’s ja sogar. Aber so eine Haltung lockt bei manchen noch mehr Gewaltfantasien raus.

 

Die Schule des Ungehorsams in Linz

Im November 2017 hat der Karikaturist Gerhard Haderer in Linz die „Schule des Ungehorsams“ gegründet. Er spielt damit, dass bereits der Titel irritiert. „Schule“ und „Ungehorsam“ passen im landläufigen Sinn gar nicht zusammen. Für Gerhard Haderer stellt der Ungehorsam aber die Basis für jede gesellschaftliche Entwicklung dar. „Blinder Gehorsam führt in die Sklaverei“, gibt der 68-Jährige zu denken. Allerdings, es würde nicht genügen, seinen Unmut hinauszuschreien. „Um diesen Lärm zur Musik zu machen, braucht man Kultur“, wie er das ausdrückt.

Zur Eröffnung der Schule des Ungehorsams gab sich auch Konstantin Wecker die Ehre. Beide Künstler – Wecker und Haderer – sprechen sich dafür aus, Ungehorsam von Kindheit an zu akzeptieren, auch wenn es für Erwachsene herausfordernd ist. Den Trend zu „restriktiveren Schulverhältnissen“ sieht Haderer deshalb kritisch. Die Erwachsenen sollten als positiv sehen, dass junge Menschen völlig unvoreingenommen sind und etwas wissen wollen. „So wünsche ich allen PädagogInnen ein gutes Leben mit dem Gedanken des Ungehorsams, den ich sehr positiv sehe“, sagt er.

Mit der „Schule des Ungehorsams“ möchte Gerhard Haderer auch einer Tendenz entgegenwirken, die er in der Gesellschaft feststellt, nämlich dass viele den einfachsten, bequemsten Weg gehen. Auch in der Politik würde es nicht mehr um Inhalte gehen, sondern um das Auftreten von „telegenen Superstars“, also Entertainment. Haderer nennt das gern „Faulheit im Hirn“ und hält es für eine demokratiegefährdende Strömung. Bildung sei die Basis jeder positiven Entwicklung. Die „Schule des Ungehorsams“ hat von Donnerstag bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Sie lädt ein, zu verweilen oder sich auszutauschen, es gibt eine ständige Ausstellung von Werken von Gerhard Haderer und Veranstaltungen.

Mehr Information im Internet unter: www.schuledesungehorsams.at

Bildnachweis: Thomas Karsten

 


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