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SprachHandWerk

Fingerspiele, Klatschverse & Co

Junge Kinder erwerben ihre Erkenntnisse in erster Linie durch ihr meist in Spielprozesse eingebundenes Handeln. Intelligenz ist also zuerst Handlungsintelligenz ("Be-Greifen"), erst nachfolgend entwickelt der Verstand daraus Begriffe ("Begreifen").

Anna Kapfer-Weixlbaumer in UNSERE KINDER 1/2016

1/2016

Von der Gebärde zum Wort

Seit Generationen ist die Bedeutung der sinnlich-tätigen Welterfahrung für die Begriffsbildung und das Sprechenlernen bekannt. So erstaunt es nicht, dass es in allen Kulturen bewegte Sprachspiele gibt, die mehr sind als nur Zeitvertreib und alte Tradition. Auch das Entstehen von Sprache an sich zeigt die enge Verbindung zur (Hand-) Bewegung: Sprache hat sich evolutions-geschichtlich aus der Bewegung - nämlich aus Gebärden und Gesten - entwickelt. In die Gestensprache wurden im Lauf von Jahrhunderten mehr und mehr lautsprach­liche Elemente übernommen (vgl. Corballis; Müller/Rentschler; Tomasello). Bis heute gestikulieren Menschen gern und unter­streichen damit ihre Aussagen. Bei Kindern hat die Gestik eine noch ursprünglichere Bedeutung, denn sie verwenden ihre Hände und den gesamten Körper, um sich auszudrücken. Was sie ausspechen können, reicht eben noch nicht aus, um ihre Vorstellungen und Emotionen mitzutei­len. Der amerikanische Verhaltensforscher Michael Tomasello sieht die Urform der menschlichen Sprache in der Zeigegeste der Hände begründet. Schon einjährige Kinder fol­gen der Zeigegeste der Bezugspersonen, um Wahrnehmungen miteinander zu teilen bzw. sich mitzuteilen.

Aus evolutionsbiologischer Sicht nützte das Gehirn für Sprache Regionen, die ursprünglich für die Verarbeitung von Bewegung (Gesten und Gebärden) zuständig waren und die sich schrittweise zum Sprachzentrum entwickelten (vgl. Müller/Rentschler). Bis heute besteht in den ersten fünf Lebensjahren eine enge Verbindung zwischen dem Sprachzentrum und dem Areal der Fingerrepräsentation im Großhirn. Werden Handbewegungen mit Sprache begleitet (bzw. umgekehrt), dann werden diese beiden Bereiche des Gehirns heftig durch­blutet und die Synapsenbildung verstärkt. Bei jungen Kindern wird die Verwobenheit von Bewegung, Sprache und Denken häu­fig bei feinmotorischen Tätigkeiten sichtbar: Scherenschneiden geht mit Mundbe­wegungen einher, Zeichnen mit Murmeln und/oder Zungenbewegungen etc. "In den Händen bündeln sich die Funktionen der Wahrnehmung und der Bewegung wie nirgends sonst im Körper. Sie ergreifen im Verbund mit den anderen Sinnesorganen die Welt buchstäblich immer wieder neu" ... formulierte der Pädagoge Alfred Weinrich in seinem Beitrag "Am Anfang war die Hand" in der deutschen Fachzeitschrift TPS - Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (Ausgabe 2003/1).

Alte Traditionen pflegen

Schon vor Jahrhunderten erkannten Men­schen den engen Zusammenhang von sprachlicher und (fein-)motorischer Ent­wicklung und nutzen seither - auch in der Elementarpädagogik - bewegte Sprach­spiele zur Sprachförderung. Regelmäßige Fingerspiele, Kniereiter- und Singspiele, Handgeschichten und -theater, Klatschverse, bewegte Gesellschaftsspiele sind ein unschätzbarer Sprachentwicklungsmotor. Die verwendeten Bewegungen (Handgesten, Mimik, Klatschen, Stampfen, Hüpfen, Singen, Gehen oder Laufen) ermöglichen es Kindern, Worte mit sinnlichen Erfahrungen zu füllen. Die deutsche Sprachwissenschafterin Gudrun Schulz beschreibt Fingerspiele in ihrem empfehlenswerten Buch "Reime und Gedichte für Kita-Kinder" (s. Rezension S. 34) als "Kosmos der Welt im Kleinen, aber nicht als Kleinigkeit, son­dern in einem Anspruch, wie ihn das Kind auf dieser Stufe bewältigen kann". Nicht unerwähnt soll bleiben, dass durch Handgesten, Bewegungen, Finger- und Handpuppenspiele etc. die Sprache visuali­siert (sichtbar gemacht) wird, was die auf­merksame Beobachtung des Gegenübers ermöglicht. Kinder achten etwa auch auf die Mundbewegungen der Erwachsenen und können sie leichter nachahmen. Durch Visualisierung wird zudem die inhaltliche Erfassung eines Textes erleichtert - ein Aspekt, der bei ganz jungen Kindern sowie bei Kindern mit nicht-deutscher Mutter­sprache eine große Rolle spielt. Gerade in der Förderung der Zweitsprache sind tradi­tionelle Sprachspiele zur Sprachförderung äußerst hilfreich.

Mehr zu frühkindlich-pädagogischen Themen finden Sie in UNSERE KINDER - das Fachjournal mit gelungener Verbindung zwischen praxisnaher Theorie und fachlich fundierten Berichten aus der Elementarpädagogik!

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