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Wie kann kindliche Ernährung gelingen?

Dr.in Ingrid Kiefer im Gespräch

Die Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin ist Fachbereichsleiterin der "Risikokommunikation" bei der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES). Im Interview mit UNSERE KINDER erklärt sie, welche fatalen Auswirkungen Süßigkeiten haben können, wenn sie zur Belohnung benutzt werden - und was man am besten mit Gemüsemuffeln macht.

Susanne Sonnleitner in UNSERE KINDER 5/2018 (Sonderbeilage: Themen, Trends, Debatten)

Worauf kommt es denn ganz grundsätzlich bei der kindlichen Ernährung an?

Einer der wichtigsten Eckpfeiler ist wohl das Verständnis, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Sie (wollen) essen, wenn sie hungrig sind, und sie haben ein natürliches Hunger- und Sättigungsgefühl. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Qualität. Kinder brauchen ausreichend Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe, weil sie im Wachstum sind. Die B-Vitamine beispielsweise benötigen Kinder, um sich zu konzentrieren und um lernen zu können. Hier können schon im jungen Alter Defizite auftreten.

Was ist speziell bei der Verpflegung von Unter-Dreijährigen zu beachten?

Die Frühkindheit ist eine Zeit, in der das Ernährungsverhalten stark mitgeprägt wird. Es entstehen Vorlieben ebenso wie Abneigungen. Gerade die Neophobie, die Angst vor Neuem, ist in dieser Phase ein großes Thema. Deshalb gilt für Eltern und PädagogInnen gleichermaßen: Geduld haben beim Essen! Lebensmittel immer wieder anbieten, auch wenn das Kind mit Ablehnung reagiert.

Ernährungsphysiologisch ungünstige Lebensmittel sind oft genau jene, die von Kindern bevorzugt werden (sogenanntes HFSS-Food: High in fat, salt and sugar). Welche Menge dieser Lebensmittel ist für ein Kind gesundheitlich vertretbar?

Auch wenn diese Lebensmittel problematisch sind, sollten sie einem Kind nicht gänzlich vorenthalten werden. Man sollte Süßes gezielt auswählen und kleine Mengen anbieten, andernfalls entwickeln Kinder eine regelrechte Gier darauf. Meine Empfehlung ist: Getränke, denen Zucker zugesetzt wurde, sollten keinesfalls täglich getrunken werden, da sie nachweislich zu Übergewicht führen. Bei Süßspeisen und Kuchen empfehle ich, ein Drittel der Zuckermenge aus den Rezepten einfach wegzulassen. Karotten- oder Zucchinikuchen sind gute Alternativen, speziell für Gemüsemuffel. Bei Süßigkeiten inklusive Eis gibt es die allgemeine Empfehlung, 40 Gramm pro Tag nicht zu überschreiten.

Hartnäckig hält sich in der Praxis die Methode, Süßes als Belohnung auszusetzen, um Kinder zu gesundem, vollwertigem Essen zu motivieren. Welche Folgen kann dieses Handeln haben?

Essen sollte nie als Belohnung in Aussicht gestellt werden. Dadurch erhält Süßes eine immens hohe Bedeutung und das Kind verlernt den natürlichen Umgang damit. Ich habe auch schon erlebt, dass sich Kinder erst dann Süßigkeiten aus einem Korb nehmen durften, wenn sie brav waren. Das ist aus ernährungspsychologischer Sicht strikt abzulehnen.

Auf welche andere Weise können PädagogInnen oder Eltern Kinder zu gesundem Essen motivieren?

Die wichtigste Voraussetzung ist das gemeinsame Essen, was in den Einrichtungen der Regelfall sein wird. Zuhause leider oft nicht. Eltern sollten aber einfordern, dass die Kinder mit am Tisch sitzen, auch wenn sie nichts oder nur wenig essen. Denn oft sind sie durch das Spiel so abgelenkt und merken erst danach, dass sie eigentlich hungrig sind. Im Kindergarten wie zuhause ist es wichtig, dass Kinder ihre Portionsgrößen selber bestimmen können, denn sie sollten nicht über ihr Sättigungsgefühl hinaus essen. Und besteht eine Speise aus mehreren Komponenten, sollte man Kinder frei wählen lassen. Kinder sollte man nie zum Essen zwingen, allerdings gilt speziell für Gemüsemuffel oder recht einseitige EsserInnen: Es wird gekostet. Wenn es nicht schmeckt, muss es aber nicht gegessen werden. Dann kann man sich noch mit Tricks behelfen: Kinder haben gern Rotes und Süßes. Für Gemüseverweigerer könnte man daher vermehrt auf Paprika und Tomate zurückgreifen. Wenn alles nichts mehr hilft, sollte einfach mehr Obst auf den Speiseplan.

Immer mehr Menüdienstanbieter bieten biologische Mittagsverpflegung. Auch verwenden viele Kindergärten, die selber kochen, biologische Lebensmittel. Wie gesund ist bio tatsächlich im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln?

Der große Vorteil von biologischen Lebensmitteln ist ihr Mehrwert: die artgerechtere Tierhaltung, der schonendere Umgang mit der Natur. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht gibt es aber keine nennenswerten Unterschiede zu konventionellen Lebensmitteln. „Bio“ bedeutet nicht ein Mehr an Vitaminen oder Mineralstoffen. Dass im biologischen Anbau weniger oder keine Pestizide verwendet werden, muss man Bio aber zugutehalten.

Die Erfahrung zeigt, dass Kinder im Kindergarten oft ein anderes Essverhalten als zuhause zeigen. Plötzlich schmecken dort Lebensmittel, die zuhause nie gegessen werden würden.

Dieses Gruppenphänomen kennen wohl viele Eltern und PädagogInnen. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Role Models. Kinder suchen sich außer Haus Vorbilder, wie die Pädagogin oder die coole Freundin. Nach dem Motto: Wenn die das isst, esse ich das auch. Hinzu kommt, dass Kinder im Kindergarten oft mangels Alternativen Speisen gegenüber offener sind. Denn zuhause gibt es im Fall des Falles dann oft doch was anderes.

Kontrovers wurde in den vergangenen Wochen ein geplantes Projekt einer Wienerin diskutiert: Die Frau möchte den ersten veganen Kindergarten in Österreich eröffnen. ExpertInnen sind sich über die Frage, ob eine rein vegane Ernährung für ein Kind gesund oder etwa risikoreich sei, uneins. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Alles, was eine einseitige Ernährung fördert, ist problematisch, so auch der Veganismus, aber auch der Vegetarismus. Ein Beispiel: Vitamin B12 kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor. Es ist für die Konzentration und Merkfähigkeit verantwortlich. Ein Mangel führt nachweislich zu neurologischen Problemen – so wurden bei Säuglingen bereits bleibende Störungen nachgewiesen. Zwar gibt es vegane Produkte, die mit den entsprechenden Nährstoffen angereichert sind. Für Kinder jedoch wird eine rein vegane Ernährung nicht empfohlen, zumal sie in jedem Fall einer professionellen Betreuung bedarf.

Bildnachweis: AGES

Dieses Interview ist Teil des Beitrags "Essen ist fertig" über Mittagsverpflegung in elementarpädagogischen Einrichtungen. Lesen Sie weiter über Tiefkühlkost, die besser ist als ihr Ruf, und Kindergärten, die den Kochlöffel selber in die Hand nehmen in der gedruckten Ausgabe.


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