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Wie mach' ich's richtig?

Persönliche Erfahrungen einer Pädagogin im praktischen Alltag

Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor, die jederzeit und überall vorkommen könnte: Der türkische Bub Mustafa (fünf Jahre alt) kommt in den Kindergarten. Er ist relativ unselbstständig und ziemlich übergewichtig. Seine Mutter trägt Kopftuch, ist ebenfalls übergewichtig und versteht die deutsche Sprache, spricht aber wenig. Die Familie wohnt 300 Meter vom Kindergarten entfernt, dennoch bringt Frau K. ihren Sohn mit dem Buggy in die Einrichtung – Mustafa verzehrt während der Fahrt einen Donut, sie hilft ihm aus dem Kinderwagen, zieht ihm Jacke und Schuhe aus und wischt ihm die Zuckerglasur vom Mund.

Andrea Lenger-Hartwig in UNSERE KINDER 5/2018

Foto Wegweiser

Die Reaktion

Verführerisch ist die Reaktion der Pädagogin, sie denkt: „Ja, kann denn das Kind nicht wenigstens diese 300 Meter zu Fuß gehen? Mustafa ist eh schon so dick. Und wir haben gesunde Jause, muss der noch einen Donut in sich hineinstopfen? Das ist unverantwortlich! Die verwöhnt den Buben und macht ihn unselbstständig!“

Kopfschütteln und Beklagen bei der Kollegin – vielleicht sogar hinterrücks über die türkische Mutter schimpfen – kann die Folge sein. Oder die Pädagogin ärgert sich, schluckt das gekonnt und gewohnt herunter und denkt, Frau K. sei eine „schlechte Mutter“. Oder sie fasst sich Mut und sagt ihr einmal ordentlich ihre Meinung: dass das unverantwortlich sei, sie doch mal zu Fuß gehen sollten, dass es im Kindergarten ja Obst gäbe … (und fängt zu belehren an).

Die Auswirkung

Jede der Reaktionen ist fatal für eine partnerschaftliche Haltung. Wenn Eltern für das, was sie tun, abgewertet und „heruntergemacht“ werden, verlieren wir sie für die Erziehungspartnerschaft. Auch in unseren persönlichen Partnerschaften schätzen wir es nicht, wenn man uns sagt, was wir tun bzw. unterlassen sollten oder wie wir uns zu verhalten hätten. Fänden wir es gut, wenn sich der/die PartnerIn bei anderen über uns beklagt? Die Folge solchen Verhaltens ist meist Widerstand oder Abkehr, manchmal auch Flucht – Eltern versuchen dann beim Abholen nicht gesehen zu werden aus Furcht davor, belehrt oder abgewertet zu werden.

Der Hintergrund

In einer partnerschaftlichen Haltung geht es darum, die positive Absicht meines Gegenübers zu erkennen – Frau K. möchte, dass es Mustafa gut geht, er nicht jammert und zufrieden ist. Sie will ihm eine gute Mutter sein (das will jede Mutter!). Wertschätzung bedeutet, dass ich als pädagogische Fachkraft darum bemüht bin, meine Haltung in ein positives Licht zu rücken. Auch dann, wenn ich das Verhalten nicht gutheiße (das ist eine der schwierigsten Aufgaben als kompetente Fachkraft!).

Meine eigene Meinung vertrete ich in einer guten Partnerschaft so, dass ich meinem Gegenüber niemals sage, was es tun soll, ich bleibe aufrecht und auf Augenhöhe. Ich verzichte darauf, über die Mutter zu sprechen und spreche stattdessen mit ihr – insbesondere, wenn ich meinem Bildungsauftrag (Bewegung und Gesundheit) gerecht werden will.

Mögliche Reaktion 

Freundlich in die Augen blickend, wohlwollend und wissend, dass Frau K. das Beste für Mustafa will, könnte ich z. B. sagen: „Frau K., Mustafa mag nicht gern zu Fuß gehen? Sie möchten, dass er zufrieden ist und unterstützen ihn.“ (Anerkennung der positiven Absicht.) „Ich denke, dass es für Mustafa gut wäre, wenn er zu Fuß in den Kindergarten käme. Bewegung tut ihm gut.“ (Ich sage ihr meine Meinung ohne Ärger und Frust. Eventuell erwähne ich noch, dass er sich beim Laufen schwertut – bleibe in meiner Ausführung aber kurz!) Den Donut und das Übernehmen vom Aus- und Anziehen hebe ich mir für eine andere Situation auf. Ich werde mich hüten, ihr zu sagen, dass sie morgen zu Fuß kommen soll. Ich sage lediglich wertschätzend meine Meinung. Ihr obliegt es, zu entscheiden. Das ist Partnerschaft – ich nehme es Eltern nicht übel, dass sie so handeln, wie sie handeln!

Bildnachweis: sodafish/shutterstock

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