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Wie viel Update braucht ein Kindergarten?

Fortschritt versus Tradition als Herausforderung für das pädagogische Team

 

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Die Zukunft macht vor den Türen des Kindergartens nicht halt. Oftmals stehen PädagogInnen vor scheinbar unüberwindbaren Diskrepanzen zwischen Einst und Jetzt. Es gibt auch in der Pädagogik Altbewährtes, das auch heute durchaus seine Berechtigung findet, und neue Ansätze, die zu hinterfragen sind.

Gehen wir einmal von den Kindern aus: Tagtäglich sehen sie Erwachsene, die in ihre Smartphones starren. Fernseher, Tablet und Radio laufen parallel. Wir sind eine Informationsgesellschaft, getrieben davon, das Leben, das uns neben Arbeit und anderen Verpflichtungen noch bleibt, auszukosten. Und die Kinder ziehen mit. Neben Kindergarten und Schule noch schnell zum Schwimmkurs, Tanzunterricht, zum Yoga oder auf ein Playdate. Der Kindergarten bietet eine Native Speakerin, die kindgerecht an die englische Sprache heranführt.

Gerade wir PädagogInnen wissen, welch unsagbares Potenzial in diesem jungen Alter steckt. Man kann den Gehirnzellen scheinbar beim Synapsenbilden zusehen! Lernen ist spielerisch leicht. Da will man fördern und fordern. Der Einstieg in die Schule soll gut klappen. Die Vorbereitung auf den sogenannten „Ernst des Lebens“. Aber wie bereiten wir Kinder eigentlich auf das Glücklich-Sein vor? Auf dieses unsagbare Gefühl der Zufriedenheit – mit dem, was man hat und was man ist. Im besten Falle auch mit dem Beruf, den man gewählt hat, und den Chancen, die man ergreift oder auch ziehen lässt.

Kinder lernen vom Vorbild! Was sie in Familie und Gesellschaft erleben und erfahren, können wir aus Sicht des Kindergartens nur begrenzt beeinflussen. Aber PädagogInnen können Kinder darin stärken, Chancen und Möglichkeiten zu ergreifen.

Ressource Zeit

Vor einigen Jahren war es noch nicht denkbar, dass ein junges Kind am Spielzeugtag das Smartphone mit in den Kindergarten bringt, heute sind wir damit konfrontiert. Tablet und Co finden Einzug in den Kindergartenalltag. Sogenannte „Neue Medien“ stoßen auf Kontroverse. Dabei gibt es, wie bei allen Dingen, Für und Wider. Das Team steht vor zahlreichen Entscheidungen, die aus pädagogischer Sicht nach Begründung suchen.

Ist es „die Kindheit von damals“?

Was ist denn heute pädagogisch wertvoll? Ist es die sogenannte Kindheit von damals, als das Kindsein ganz nebenbei passierte? Im Vorgarten unter dem Kirschbaum, in der Wiese spielend mit Stöckchen und Erde? Irgendwie scheint es, als wäre die Zeit damals langsamer vergangen. Es gab kein Überangebot an Möglichkeiten, oft nur wenige Spielsachen, die wieder repariert und zusammengeflickt wurden, bis das Kind kein Interesse mehr daran hatte.

Widme ich mich dem Dokumentarfilm „Babys“ von Thomas Balmès, in dem vier Kinder unterschiedlichster Kulturen in ihrem ersten Lebensjahr begleitet werden, bin ich mir ganz sicher: Es ist die Mischung. Die Mischung aus Altbewährtem, ganz Natürlichem und dem Neuen, dem Fortschritt. Doch wir, die Vorbilder, die Erwachsenen, die Kinder begleiten und oftmals auch prägen, sind für die Dosierung verantwortlich.

Halten wir es aus, dass den Kindern langweilig ist und sie nicht stetig belustigt und animiert werden? Denn wir wissen, dass in Langweile ein sehr großes Potenzial für kreative Prozesse steckt. Und wir freuen uns dann auf die Momente, in denen wir staunend auf die Kinder blicken, wohl wissend, dass in diesen Augenblicken ganz Großes passiert. Ganz ohne unser Zutun.

Perspektive Team

Zahlreiche Möglichkeiten in Bezug auf Fort- und Weiterbildung bereiten den Weg für Neuerungen. Der erste Bachelor für Elementarpädagogik wird in einigen Bundesländern angeboten und soll eine weitere Qualität in die Einrichtungen bringen. Die Zusammenarbeit zwischen vielen Kindergärten und Volksschulen wurde unter dem Schlagwort „Transitionen“ eingeführt. LeiterInnen und PädagogInnen sind gefordert, Werte und Haltung auf Authentizität und Aktualität zu prüfen.

Die Auseinandersetzung mit pädagogischem Konzept, Bundesländerübergreifendem Bildungs- RahmenPlan und Team bedingt immer neue Aufgaben. Welche Ansätze vertrete ich und wo muss ich auf die Interpretation von Sachverhalten plädieren? Wann gehe ich auf die Wünsche von Eltern ein, wo verlangt es nach Ausnahmen oder Grenzziehungen?

Die Leitung einer elementarpädagogischen Einrichtung muss das Team stützen und zugleich die professionelle Weiterentwicklung im Blick haben. Es geht nicht nur um das fachliche Gespräch, das für viele schon Routine geworden ist, sondern auch darum, Visionen zu besprechen. Mit- und voneinander zu lernen und in den Diskurs zu gehen, kann ein enormes Potenzial für das Team bedeuten. PädagogInnen, die bereit sind, sich in ihrer freien Zeit fortzubilden, sollten auch in der Praxis die Möglichkeit bekommen, neu Erlerntes in das bestehende System einzubringen.

Die Komfortzone überwinden

Im Kindergarten stellen wir uns die Frage: Wo braucht es Veränderung und wann sind wir bereit dafür? Handlungen, Muster, Verhaltensweisen laufen ganz unbeachtet, ja selbstverständlich ab. Rituale hingegen sind Vorgänge, die wir immer wieder tun, alleine oder mit anderen, und dies in einer bestimmten Art und Weise! Sie sind in jedem Alter wichtig und erfüllen das urmenschliche Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Geborgenheit.

ForscherInnen, die die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern beobachtet haben, fanden heraus, dass sich Rituale von Geburt an aus dem Wechselspiel zwischen Eltern und Kind entwickeln. Ein von Vater und Mutter liebevoll versorgtes Baby wird genährt, gewickelt, gebadet und herumgetragen – und dies in regelmäßigen Abständen! Das Kind spürt, dass das Leben nach Abläufen funktioniert. Auf dieser Grundlage bildet sich das Urvertrauen des Kindes. Es entwickelt daraus eine Erwartungshaltung.

Rituale sind wie eine Brücke, die uns das Hinübergehen in ein „neues Land“ erleichtern. Dies gilt speziell für Lebensübergänge. Eines der ersten Dinge, die wir alle als Säugling lernen, ist der Greifreflex. Zupacken und Festhalten! Loslassen widerstrebt uns und scheint vielfach als ein Akt der Überwältigung. Neues macht Angst. Warum Veränderung, wenn es „doch eh geht“, so wie es ist? Doch für jemanden, der einmal mutig war, darauf vertraut hat, dass Veränderung nicht zwingend schlecht ist, kann das „Außer-sich-Sein“ ganz neue Perspektiven eröffnen.

Gemeinsam geht es leichter

Grundsätzlich stellt sich im Kindergarten die Frage: Welche Regeln dienen der Sicherheit, welche Rituale dienen als Brücke für Jung und Alt und wie geht ein Team mit Veränderung um? Herrscht eine offene, wertschätzende Gesprächskultur? Da die Belastung für ElementarpädagogInnen nicht von der Hand zu weisen ist, sollte das Team umso geeinter agieren. Das bedeutet nicht, dass Diskurs und Unstimmigkeiten nicht erwünscht sind. Diese benötigen nur einen Rahmen und Zeit, ganz im Sinn der Aus- oder Weiterbildung für PädagogInnen, in der Kommunikation, Reflexion und die Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbild eine Rolle spielen.

Klare Strukturen im Team

Da sich Gesellschaft und Kultur in stetigem Wandel befinden, gilt das auch für die elementarpädagogischen Einrichtungen. Der Spagat zwischen der pädagogischen Haltung, Kind- und Bedürfnisorientierung, entwicklungsspezifischen Aspekten und gesellschaftspolitischen Faktoren ist tagtäglich zu bewältigen. Umso wichtiger ist es, dass die Leitung ihr Team durch eine klare Struktur führt.

Ähnlich wie in einer Kindergartengruppe sollen Transparenz und Demokratie vorherrschen. Im Team wird über Entscheidungen abgestimmt und pädagogische Schwerpunkte werden besprochen. Es ist offensichtlich, dass wir in unseren Einrichtungen die Welt nicht verändern können. Die Welt der Kinder aber schon! Die Rollen als Vorbilder und Bezugspersonen verlangen es uns ab, authentisch und klar zu sein. Im Idealfall leben wir, woran wir glauben, und stehen hinter dem, was wir sagen.

 

Bildnachweis: iStock.com/Freeze Frame Studio
 

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