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Wohin geht die Reise?

Wie Visionen pädagogische Arbeit bereichern können

 

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Was Philosophen, Wissenschaftler und Unternehmen bereits seit Jahrhunderten als Erfolgsfaktor erkannt haben, sollten auch Bildungseinrichtungen für sich nutzen: die Kraft der Visionen. Durch das bewusste Entwickeln und Gestalten von Zukunftsbildern können pädagogische Teams die Bildung von morgen aktiv mitgestalten. Doch worauf sollten PädagogInnen bei der Visionsarbeit achten? Und welchen Mehrwert bietet das Visionieren im pädagogischen Kontext? Dieser Artikel zeigt auf, warum die Arbeit mit Visionen so wichtig ist und warum Bildungseinrichtungen dieses starke Instrument unbedingt in ihre pädagogische Arbeit integrieren sollten.

Aristoteles, Maria Montessori und Steve Jobs hatten eines gemeinsam: eine klare Vision. Die Methode der Visionsarbeit ist keine moderne Erfindung, sondern eine bewährte Praxis, die sich über Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Kontexten weiterentwickelt hat. Im 20. Jahrhundert fand die Visionsentwicklung ihren festen Platz im Management und in der Organisationsentwicklung – und bewies dabei ihren Wert. Visionsarbeit ist daher nicht nur ein vorübergehender Trend, sondern eine bewährte Methode, um Zukunftsbilder zu erschaffen, die Menschen inspirieren und Orientierung geben (Neumann, 2023).

Was macht eine Vision aus

Eine Vision ist ein klar formuliertes und inspirierendes Bild der Zukunft, das noch nicht erreicht ist, jedoch eine stark motivierende Wirkung entfaltet. Sie wirkt wie ein Kompass, der Orientierung gibt und den Weg weist. Visionen helfen dem pädagogischen Team, konkrete Ziele zu formulieren und diese Schritt für Schritt in die Realität umzusetzen. Besonders in Zeiten des Wandels und der Herausforderung können Visionen Halt geben und in eine Richtung weisen. Visionsarbeit heißt, sich mit der inspirierenden Frage auseinanderzusetzen, wie die Zukunft beispielsweise in fünf Jahren aussehen soll.

Beim Visionieren geht es darum, ein überzeugendes Bild zu entwerfen und diesem Entwurf dann Leben einzuhauchen. Damit die Zukunftsvorstellung ihre volle Wirkung entfalten kann, muss sie spezifisch auf die jeweilige Organisation zugeschnitten und klar verständlich formuliert sein. Nur so kann sie die Beteiligten begeistern und ihnen konkrete Anhaltspunkte für die Umsetzung geben (Lauer, 2014).

Unternehmen setzen diese Methode schon seit Jahrzehnten erfolgreich ein, um langfristige Ziele zu definieren und das Engagement und die Innovationskraft ihrer Mitarbeiter zu stärken. In Bildungseinrichtungen hingegen wird die Arbeit mit Visionen noch viel zu wenig aktiv genutzt. Dabei können elementarpädagogische Einrichtungen von einem konkreten Zukunftsbild in vielerlei Hinsicht profitieren.

Wenn Einrichtungen eine klare Vorstellung davon haben, wer sie sind und wohin sie wollen, ermöglicht dies allen Beteiligten gemeinsam in eine Richtung zu arbeiten. Um herauszufinden, in welche Richtung sich die Bildungseinrichtung entwickeln will, ist es wichtig, eine übereinstimmende Vorstellung davon zu haben, wie die Einrichtung in der Zukunft aussehen soll. Eine Vision ist die Antwort darauf, warum wir zur Arbeit gehen, warum Kinder mit Freude die Einrichtung besuchen – sie ist ein Kraft gebender Satz, der bestimmt, wohin die gemeinsame Reise geht. Die Implementierung einer Vision kann erheblich dazu beitragen, die Qualität der Einrichtung zu verbessern und eine positive, motivierende Atmosphäre zu schaffen (Neumann, 2023).

Visionen erzeugen positive Emotionen

Visionen sind nicht nur inspirierende Zukunftsbilder, sondern haben auch tiefgreifende neurobiologische Effekte. Laut Neurowissenschaftler Gerald Hüther (2011) fördern positive Visionen die Bildung neuronaler Netzwerke, die ein starkes Gemeinschaftsgefühl und eine tiefere Zusammengehörigkeit innerhalb eines Teams schaffen. Diese Verbindungen helfen nicht nur, die Motivation zu steigern, sondern unterstützen auch die Handlungsfähigkeit.

Folgende Beispiele verdeutlichen, wie Visionen nicht nur abstrakte Ideen bleiben, sondern konkrete, positive Veränderungen im Alltag des Kindergartens bewirken können.

Vision: „Gemeinsam wachsen – Eltern und pädagogische Fachkräfte arbeiten Hand in Hand zum Wohle der Kinder.“

  • Umsetzung: Bei Unsicherheiten oder Sorgen seitens der Eltern kann die Leitung die Vision nutzen, um klar und vertrauensvoll zu kommunizieren, wie die Sicherheit und das Wohl der Kinder gewährleistet werden. Das stärkt das Vertrauen und die Zusammenarbeit.

Vision: „Wir sind eine Bildungseinrichtung, die durch Teamarbeit und gegenseitige Unterstützung jedem Kind eine achtsame und gleichwürdige Betreuung bietet.“

  • Umsetzung: Im Falle eines unerwarteten Personalmangels erinnert die Vision das Team daran, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten und kreative Lösungen zu finden. Sie fördert die Flexibilität und den Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden.

Vision: „Wir schaffen ein Arbeitsumfeld, das von Respekt, Wertschätzung und Zusammenarbeit geprägt ist.“

  • Umsetzung: Bei Konflikten innerhalb des Teams dient die Vision als Leitfaden für konstruktive Gespräche und Lösungen. Sie hilft, den Fokus auf gemeinsame Werte und Ziele zu richten und Konflikte produktiv zu bewältigen.

Vision: „Der Kindergarten versteht sich als Unterstützungssystem für die gesamte Familie, nicht nur als Betreuungsort für Kinder.“

  • Umsetzung: Regelmäßige Elternabende, Workshops und individuelle Beratungsgespräche zur Förderung des Austauschs und die Kooperation zwischen Kindergarten und Familie.

Vision: „Kinder als aktive GestalterInnen ihrer Lernwelt – Kinder sind kompetente Individuen, die selbstständig entscheiden und ihre Lernprozesse aktiv mitgestalten können.“

  • Umsetzung: Kinder wählen selbstständig interessante Themen und arbeiten an Projekten, die ihnen Freude bereiten, wobei, PädagogInnen sie begleiten statt belehren. Sie werden aktiv in Alltagsentscheidungen eingebunden, z. B. bei der Wahl von Spielen oder Ausflügen.

Durch das Einbinden solcher Visionen in den Arbeitsalltag kann ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Motivation entstehen, das das Team auch in schwierigen Zeiten zusammenhält und voranbringt.

Visionen bilden die Grundlage für gute Zusammenarbeit

Wenn alle Teammitglieder aktiv an der Entwicklung einer Vision mitarbeiten, wird die Kooperation effektiver und das Engagement größer. Sie vereint unterschiedliche Perspektiven und Ideen und fördert dadurch ein gemeinsames Verständnis und eine starke Identifikation mit den Zielen der Einrichtung (Neumann, 2023).

Wenn beispielsweise die Vision eines Kindergartens darin besteht, ein Ort des Entdeckens und Forschens zu sein, an dem Kinder sich aktiv beteiligen können, ermöglicht dies dem gesamten Team, eine kohärente Haltung als LernbegleiterInnen zu entwickeln. Dies unterstützt die kontinuierliche Qualitätsentwicklung und sorgt dafür, dass die pädagogische Arbeit stets auf gemeinsame Ziele ausgerichtet ist.

Einrichtungen zukunftsfähig gestalten

In einer Zeit, in der sich Anforderungen und Rahmenbedingungen in Bildungseinrichtungen stetig verändern, wird die Visionsarbeit immer bedeutsamer, um eine klare Richtung vorzugeben. Visionen sind eng an Werte geknüpft. Dadurch bieten sie eine Möglichkeit, auch Werthaltungen in den Blick zu nehmen, die den teilhabenden AkteurInnen zugrunde liegen. Dieser kreative Prozess sollte alle Beteiligten – das Team, die Kinder, die Eltern, den Rechtsträger und die lokale Gemeinschaft – aktiv einbeziehen. Besonders wertvoll ist die Einbindung der Kinder selbst, indem diese ihre Träume und Ideen für den Kindergarten der Zukunft mitteilen, z. B. durch Bilder oder Geschichten. So können Kinder vielleicht malen, wie ihr idealer Garten aussehen würde, und diese Ideen fließen in die Planung der Außenanlagen ein.

Das erhöht nicht nur die Relevanz der Vision, sondern schafft auch eine lebendige und dynamische Bildungsumgebung, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird.

Die Macht von Visionen

Eine gemeinsam entwickelte Vision ist ein kraftvoller Wegweiser, der die tägliche Arbeit inspiriert und lenkt. Sie beeinflusst, wie wir denken, fühlen und handeln, und ermöglicht es, dass Wunschbilder oft wie von selbst Wirklichkeit werden. Genießt das Visionieren und die gemeinsame spannende Reise!

Beispiele der Visionserarbeitung Kreative Methoden wie Visionsreisen (gedankliche Reisen in die Zukunft) und das Erstellen von Vision Boards (visuelle Darstellung der Vision anhand von Zeichnungen, Fotos, Notizen bzw. Skizzen) fördern das Vorstellungsvermögen und helfen dabei, die Vision greifbar zu machen. Diese Methoden sind besonders hilfreich, um abstrakte Ziele in konkrete Bilder und Symbole zu übersetzen, die im Alltag präsent bleiben.

 

 

Bildnachweis: shutterstock.com/WPixz

Iris Wölflingseder, BEd.

Jahrgang 1990. Ausbildung an der BAfEP Ried/Innkreis. Studium der Elementarpädagogik an der PHDL, Fachkraft für Kinderperspektiven. Elementarpädagogin und Leiterin im Kindergarten Suben/OÖ und Referentin in der pädagogischen Fortbildung.

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